Print is Dead. Long Live Print

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Wie viele Magazine haben wir in den letzten drei Jahren eigentlich besprochen? So um die hundert? Darunter sehr viele Indie-Magazine, die es ganz ohne großen Verlag und Vertrieb, ohne Werbebudget geschafft haben, sich durchzusetzen. Stattdessen auf Crowdfunding und Mundpropaganda setzen. Und Nischen besetzen, die wir uns im Zeitschriftenregal zwischen TV Spielfilm und Gala einfach (noch) nicht vorstellen können.

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Etwa The Gourmand, Perdiz oder Hot Rum Cow – drei aus diesem Buch, die wir vorgestellt haben. Und die lassen sich nicht mehr so einfach einordnen wie Magazine früher. Wenn es in The Gourmand um Essen geht, dann ist das nur der Aufhänger, um sich philosophischen Fragen zu widmen, Kunst-Fotostrecken zu bringen oder Anekdoten vom Kochen und Dinieren. Viele weitere Zines aus den Bereichen Kunst und Design, Travel und Food, Gesellschaft, Sport und Lifestyle lassen erahnen: Inspiration ist grenzenlos.

So was wie T-Post fällt vielleicht schon mehr unter die Kategorie “Gadget” – ein Magazin, oder vielmehr ein Artikel, gedruckt auf ein T-Shirt. Andere Zines kommen in Dosen, Schuhkartons, als Frisbee (!) oder Poster.

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Wer durch Print is Dead. Long Live Print blättert, merkt dabei sofort: Jedes Magazin ist in Look und Inhalt einzigartig. Und viele haben bereits in ihrer frühen Phasen einen eigenen Stil entwickelt. Aber was sie eint, ist der Verzicht auf konventionelle Formen der Produktion, Finanzierung und Vertrieb. Wer nach Lektüre des Buches auf das ein oder andere Zine Lust bekommt (und das können wir fast garantieren), der sucht danach am besten und schnellsten im Netz.

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Warum soll ich das lesen?
The Gentlewoman, Apartamento, Little White Lies: kennste? Und was ist mit Manzine (parodiert Männer-Lifestyle-Magazine), Boneshaker (Radfahren mit Chic) und Cat People (tja, Katzen halt)? Siehste.

Risiken und Nebenwirkungen
Der einzige Kritikpunkt: Die Auswahl konzentriert sich sehr auf UK und die Staaten – und sehr viele der Zines sitzen in London. Ein bisschen mehr Abwechslung wäre schön; gerade bei uns geht ja auch mittlerweile sehr viel.

> Print is Dead. Long Live Print online

Sven Job

Interview mit Julius Matuschik und Sebastian Cunitz (Cameo Magazin)

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Als wir die erste Ausgabe des Cameo Magazins besprochen haben, waren Themen wie Flucht und Asyl bereits präsent und das Magazin in unseren Augen ein wichtiger Beitrag zur Thematik. Spätestens in diesem Sommer jedoch dürfte jedem klar geworden sein, dass unsere Gesellschaft vor einer gewaltigen Veränderung steht. Die zweite Cameo-Ausgabe kann also aktueller nicht sein und gibt wieder denen eine Stimme, über die meist nur in abstrakten Begriffen gesprochen wird: den Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten und in Deutschland Zuflucht gefunden haben. Dies geschieht durch persönliche Briefe und Fotos aus einem Kloster, das 39 Flüchtlinge beherbergt. Wir haben den beiden Herausgebern Julius Matuschik und Sebastian Cunitz einige Fragen zu ihrer Arbeit gestellt.

Wie war die Resonanz nach der ersten Ausgabe?
Die Resonanz war durchwegs positiv. Unser Hauptanliegen ist es, dass Menschen die Briefe der Flüchtlinge lesen. Das Magazinkonzept um die Briefe herum, also Gestaltung und Fotografie, soll Neugierde wecken und die Briefe visuell unterstützen.

Zu hören, dass das Konzept funktioniert, ist ein riesengroßes Kompliment und hilft uns dabei, weiter zu denken und zu machen. So erreichen wir hoffentlich noch mehr Menschen, die diese Briefe lesen können.

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Was ist seitdem passiert? Ihr habt ja in einem unserer Kontakte angedeutet, dass jede Menge los war.
Nach der ersten Ausgabe haben wir Mitstreiter gefunden, die uns bei der Umsetzung des Magazins, aber auch darüber hinaus, unterstützen wollen.

Wir möchten uns für einen nachhaltigeren und fairen interkulturellen Dialog einsetzen. Für uns geistern noch viel zu viele Vorurteile umher, nicht nur in Bezug auf Flucht und Asyl. Daher bieten wir uns als Kollektiv an, um Ideen umzusetzen. Das kann die Konzeption einer Ausstellung, eines Workshops oder eben eines Magazins sein. Ausserdem haben wir die Auflage verdoppelt, weil wir beabsichtigen, den Vertrieb nicht mehr nur über unseren Online-Shop zu leisten, sondern auch über andere Kanäle.

Wie stellt iIr den Kontakt zu den Protagonisten im Heft her? Wie kann man sich den Entstehungsprozess vorstellen?
Bevor wir anfangen, Briefe schreiben zu lassen, möchten wir die Protagonisten und den Ort erst einmal kennenlernen. So können wir den Mikrokosmos der jeweiligen Gemeinschaft und Unterkunft verstehen lernen. An Gemeinschaftsabenden erklären wir dann unser Projekt und versuchen, zusammen Ideen zu finden. Welche Gedanken und Gefühle habt ihr für die Briefe? Wie geht’s euch hier? Wo könnte man die Porträts machen?

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Was wünscht Ihr Euch, mit Cameo zu erreichen?
Cameo soll Brücken schlagen, einen Dialog anregen sowie Sympathie und Empathie für geflüchtete Menschen wecken. Nach Vorträgen oder Ausstellungen mit Cameo erhalten wir oft als Feedback, dass man jetzt gerne selbst aktiv werden will oder einfach nur mal in eine Unterkunft will, um mit Geflüchteten zu sprechen. Dann hat es für uns funktioniert!

Ist Cameo ein politisches Magazin?
Die Themen Flucht und Asyl sind zwar politisch, wir möchten das Ganze aber auf eine menschliche Ebene bringen, fernab von Dublin II oder Königsberger Schlüssel. Politik wird von Menschen gemacht, scheinbar ist aber bei vielen Eines noch nicht angekommen: Nächstenliebe.

Wie geht es weiter?
Wir haben Cameo – Gedanken über Gastfreundschaft bisher als Trilogie verstanden und möchten auf jeden Fall noch eine Ausgabe nach dem selben Konzept machen. Danach soll es mit einem anderen Begriff, wie “Hoffnung” oder “Liebe”, weitergehen. Es werden Begriffe gesucht, die Brücken bauen und Verbindungen schaffen. Jeder Mensch hat schließlich Träume und Hoffnungen.

Danke, dass Ihr Euch Zeit für uns genommen habt. Macht weiter so!

> Cameo Kollektiv online
> Cameo Magazin online

Unsere Besprechung der ersten Ausgabe von Cameo findet Ihr hier.

Das Gespräch führte Florian Tomaszewski

FOG

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Mit FOG hält der Leser das Konzentrat der gleichnamigen Internetplattform in der Hand. Diese veröffentlicht dokumentarische Arbeiten, die nicht durch Werbung, sondern ausschließlich durch den Leser finanziert werden. Ein Abonnement oder der Kauf des jährlich erscheinenden Magazins ermöglicht ein Jahr lang den Zugriff auf alle Inhalte der Seite. Das ist eine tolle Verknüpfung von Print und Digital, aber lohnt das Heft denn auch?

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Diese Frage kann nur mit einem klaren Ja beantwortet werden. Die Fotoserien, Interviews und Reportagen zeugen alle von hoher Qualität und einer Freiheit, die eine verlagsgebundene Redaktion so wohl nicht bieten kann. Ob Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) deutscher Bundeswehrsoldaten, ein fotografischer Streifzug durch die Rotlichtmilieus Südostasiens, der Plattenbau der DDR oder die beeindruckenden Portraits südafrikanischer Müllsammler: FOG ist ein wilder, nicht immer schöner Ritt durch die Welt. Damit diese auch was davon hat, erscheinen die Texte immer mit englischer Übersetzung.

Wo sonst seitenweise Fotografen und Autoren vorgestellt werden, halten sich hier die Macher angenehm im Hintergrund. Die Story ist der Star – und der hat sich (noch) nicht kaufen lassen, denn das Heft erscheint komplett werbefrei. So kann man sich voll und ganz auf die Artikel konzentrieren, ohne zwischendurch über den Kauf eines Neuwagens oder Handys nachzudenken. Außergewöhnlich ist ebenso das Querformat des Magazins, das man ja auch nicht allzu häufig in der Hand hält.

Bleibt das Fazit: Den eigenen Anspruch “Schnittstelle des Dokumentarischen und Künstlerischen” zu sein, erfüllt FOG auf ganzer Linie.

Warum soll ich das lesen?
Weil Du damit tatsächlich guten Journalismus unterstützt, anstatt immer nur davon zu reden.

Risiken und Nebenwirkungen
Etwas getrübte Stimmung. Aber so ist die Welt nunmal. Komm damit klar!

> FOG online

Florian Tomaszewski

Lettre International

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“Aus der Hand” nennt Eva-Maria Schön ihre Fotogramme. Darin trifft Fotografie auf Malerei. Eine ganze Serie dieser nachbearbeiteten Aufnahmen erstreckt sich über die großformatigen Seiten der 109. Ausgabe von Lettre International. So leicht gibt man dieses Magazin in fast Doppel-A4-Format und mit beinahe 150 Seiten dann auch nicht mehr aus den eigenen Fingern. Denn wo andere sich abmühen, müßig im Sommer bloße Löcher zu füllen, nutzt Europas Kulturzeitung diesen weiträumigen (Spiel-)Platz. Die Bandbreite reicht dabei von Neandertaler bis Houellebecq, Grass zu Twitter. Von Grausamkeit zu Menschlichkeit, von kindlicher Psyche bis zum finalen suizidalen Akt.

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Und macht auch vor den Grenzen Europas nicht Halt: So setzt das Heft – angenehm unaufgeregt und der Zeit enthoben – Brasilien als den letztjährigen Verlierer der Fußball-WM noch einmal in wirklich sehenswerte Bilder. Das Titelfoto sowie die im Heft immer wieder auftauchenden prächtigen Kostüme, die der peruanischen Folklore entstammen, hat Fotograf Juan Manuel Castro Prieto festgehalten. Sie zeigen einen Maskentanz des Teufels, das Gute gegen das Böse, und sieht man genau hin, entdeckt man bereits auf dem Titel im Maul des Ungetüms einen lachenden Mann.

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Daneben widmet sich die Sommerausgabe – wieder aus gereifter Distanz – den Spekulationen um Osama bin Ladens Tod. Und damit verbunden der Hoffnung auf ein neues Afghanistan und positiven Veränderungen bei unseren “explosiven Nachbarn” im Osten und Süden. Seit 1988 erscheint das Heft im Vierteljahrestakt aus der Berliner Redaktion heraus in die ganze Welt. Neben der deutschen gibt es Ausgaben in italienischer, spanischer, ungarischer, rumänischer und sporadisch auch dänischer Sprache. Lettre International will ein Fest der Kreativität sein, aber auch eine Oase geistiger Freiheit, ein Ort der Gastfreundschaft, manchmal sogar ein Panorama aller Kulturen.

Das schlägt sich nieder in der Themenvielfalt, in den Reportagen, Fotoarbeiten, Essays und der Lyrik. Und diese Vielfalt ist allein schon offensichtlich in der Liste der Künstler, Autoren und Fotografen, die zu dieser Ausgabe beigetragen haben: Ganze zwei Seiten ist sie lang.

Warum soll ich das lesen?
Willst Du der Gefahr eines plötzlichen Sommerlochs trotzen, dann nimm Dir ein Heft von Format vor!

Risiken und Nebenwirkungen
Achtung: Verletzungsgefahr! Für sich Wind zufächeln ist Letter International wenig geeignet.

> Lettre International

Manuel Niemann

Bricks Culture

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Lego ist nicht nur Spielzeug. Lego hat sich zu einem Ausdrucksmittel für Erwachsene (und natürlich Kinder) entwickelt, um technische und künstlerische Grenzen auszuloten. Und um seine Lieblingsszenen aus Star Wars nachzustellen, natürlich. Lego ist, kurz gesagt, ein Hobby, für das sich ein erwachsener Mensch mit Familie und Sozialleben nicht mehr schämen muss. Und diese Menschen bezeichnen sich als AFOLs (Adult Fans of Lego). Gerade im Internet hat sich seit Beginn der Nullerjahre eine Szene entwickelt, die sich zum Thema organisiert, austauscht und seine Kreationen zeigt.

Dabei sind oft grandiose Sachen dabei. Riesige Schlachtengemälde, Raumkreuzer oder nachgestellte Filmszenen, die es so in keinem Set zu kaufen gibt. Höchste Zeit, dass dieser bunten Gemeinschaft ein Magazin gewidmet wird, und dieses Magazin ist das englischsprachige Bricks Culture. Es braucht sich auf keinem Coffee-Table zu verstecken, ist stylish und glänzt durch seine Bilderstrecken. Es geht mit den Protagonisten der Szene ins Gespräch, hat also auch Substanz zu bieten. Und am allerwichtigsten: Es zeigt, wie verdammt schön diese bunten Steine sein können, mit denen wir als Kinder oft nur mittelmäßige Raumschiffe (Strandhäuser, Monster, Rennwagen) hinbekommen haben.

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Das Ganze ist ästhetisch so gut, weil vor allem die Bilderstrecken so herausstechen. Damit wird es eigentlich für jeden interessant, der sich für Optik interessiert. Und das tun wir doch alle, oder? Und weil es eine erwachsene Zielgruppe anvisiert, nimmt Bricks Culture das Thema auch entsprechend ernst. Ein Artikel über die noch junge Produktreihe Friends (die Lego explizit an die Zielgruppe Mädchen richtet) andererseits gibt Anlass, einmal über Geschlechterrollen nachzudenken. Oder sich das Thema für die Abschlussarbeit Sozialwissenschaften anzueignen. Es steckt tatsächlich viel drin in den roten, gelben, blauen Steinen. In diesem Magazin auch. Ja, es bleibt ein Heft über Spielzeug und ja, nicht jeder steht auf Spielzeug. Aber für einen gewissen Spieltrieb sind wir doch nie zu alt.

Warum soll ich das lesen?
Deine alten Steine hast Du damals auf dem Flohmarkt verscheuert? Lass die Leidenschaft aus Kindheitstagen mit einem Magazin wieder aufleben. Eine Ersatzhandlung, sozusagen.

Risiken und Nebenwirkungen
Passives schlägt in aktives Interesse um. Das kann dann schon teuer werden, wenn Du Dir zum Einstieg den Todesstern zulegen möchtest. Die Macht ist stark in diesem da.

Wir haben auch das Schwesternmagazin Bricks besprochen. Es geht weniger auf die Fan-Kultur ein und richtet seinen Schwerpunkt auf aktuelle Entwicklungen und offizielle Veröffentlichungen aus dem Hause Lego.

Die zweite Ausgabe von Bricks Culture ist erschienen.

> Bricks Culture online

Sven Job

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