Mal’s dir aus – Ausmalheft für Erwachsene

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Es war einer der Momente, bei dem ich dachte: “Wann habe ich das wieder verpasst?”, als ich vor einigen Monaten die Treppe eines großen Hörsaals meiner Uni herunterlief und dabei bemerkte, wie dutzende Studentinnen Malbücher ausmalten. Vereinzelt konnte ich das schon früher beobachten, im Zug oder in einer Arztpraxis. Aber seit einigen Monaten scheint das altbekannte Neonleuchten der Laptop-Äpfel zunehmend abgelöst zu werden vom Geräusch hin und her rutschender Buntstifte.

Schlüssig ist es da, dass man nicht mehr nur auf die Kinder-Malbücher zurückgreifen muss und jetzt mit Mal’s dir aus eine international-europäische Magazinpublikation erschienen ist, die das Ausmalen für Erwachsene aufgreift. International ist hier natürlich einfacher als bei anderen Zeitungsformaten, wo Übersetzungen aufwendig und teuer sind. Die Bilder muss man nicht übersetzen, nur ausmalen.

Auf dem Papier, das zur Verwendung kommt, macht das Ausmalen richtig Spaß. Die Bilder sind teilweise sehr detailliert. So detailliert, dass man an jedem viele Stunden verbringen kann. Von abstrakten Formen und Mandalas bis zu Landschaften und Objekten reicht die Bandbreite. Ausdauer und Konzentration sollte man also vielleicht schon mitbringen, das erklärt auch die ältere Zielgruppe. Weitere Erkentnisse ergeben sich aus dem Untertitel “Ausmalheft für Erwachsene“ leider nicht. Schade eigentlich. Wieso nicht in Zukunft auch Porno-Ausmalhefte?

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Wie lässt sich dieser Trend erklären?

Star der “Szene” ist Johanna Basford, die Millionen ihrer Malbücher verkauft hat. Aussagekräftiger als ein Interview mit ihr, sind die vielen Rezensionen, die man in den üblichen Onlineversandhäusern lesen kann. Dort wird dem Ausmalen von Bildern nicht nur einfach Zeitvertreib und damit verbundener Spaß zugebilligt. Das Ausmalen wird zum Yoga-Ersatz, gar zur Therapie, dank derer man keine Psychopharmaka mehr bedürfe (so einen Kommentar gibt es wirklich!).

Das Ausmalen als Praxis, die eine geheime Kraft entfaltet? Oder doch nur eine Alternative zum Sudoku?

Warum soll ich das lesen?
Je nachdem, wie sehr Du an das Ausmalen glaubst, kann also die Wirkung ausfallen. Vielleicht entgehst Du damit der Langeweile, vielleicht sogar den überschätzten Polio-Impfungen.

Risiken und Nebenwirkungen
Es gibt erste Berichte von Menschen, die über das Ausmalen das Essen vergessen haben sollen. Und Achtung: Die Tablet-Version soll das Display schnell zerkratzen. Papier gewinnt mal wieder!

Ulrich Mathias Gerr

Nicht Jetzt!

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Einen allzu guten Ruf hat das Wort “Mehr” leider nicht. Wird es doch verbunden mit Gier, Wachstum oder Ehrgeiz. Nicht besonders sympatisch also in Zeiten von Bescheidenheit, Nachhaltigkeit und Verzicht. “Mehr” ist böse. “Mehr” heißt immer: weniger für andere. Wir wollen mehr, dachten sich hingegen die Studierenden des Department Design der HAW Hamburg und widmen die fünfte Ausgabe des Nicht Jetzt!-Magazins genau diesem Thema.

Dabei setzen die Macher das Leitmotiv nicht nur inhaltlich, sondern auch gestalterisch konsequent um. Alle Texte findet man in englischer Übersetzung in einem Beiheft vor, ausgebreitet misst das Magazin fast einen Meter. Auch beim Design des Covers sollte wohl nicht gegeizt werden. Jedes Titelmotiv ist einzigartig und zeigt ein jeweils anderes Einzelbild, das einem experimentellen Film entnommen wurde.

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Inhaltlich deckt das Heft ein breites Themenspektrum ab, kein Wunder, lässt die Vorgabe “Mehr” doch einen ziemlich großen Spielraum. Wrestling, LSD, Siedler im Westjordanland, Ukraine, Obdachlose auf Sylt, ein bisschen Mode. Eigentlich von allem etwas, nicht immer ist der direkte Bezug dabei klar – eine strengere Eingrenzung hätte hier nicht geschadet, auch wenn dies dem Leitgedanken widersprochen hätte.

Wer mehr verspricht, der muss auch liefern. Gimme more!

Warum soll ich das lesen?
Mehr ist mehr.

Risiken und Nebenwirkungen
Das war auch Dein Motto bei der letzten Betriebsfeier, am nächsten Morgen gab es die Quittung. Ist manchmal weniger nicht doch mehr?

> Nicht Jetzt! online

Florian Tomaszewski

The Great Discontent

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The Great Discontent ist ein New Yorker Online-Magazin, das sich in seinem dritten Jahr und damit auch seiner dritten Print-Inkarnation dem Möglichen verschrieben hat. “The Possibility Issue” spielt mit diesem Thema schon auf der ersten Seite, indem es mit Alison Sudol (die früher Musik machte unter dem Namen A Fine Frenzy), Sam Beam von der Indie-Formation Iron & Wine und Tei Shi drei Musiker drei mögliche Cover-Varianten zieren lässt. Dem in nichts nach stehen andere solche “Macher”, die das Heft auf seinen Seiten versammelt. Chefredakteurin Tina Essmaker nennt sie auch “those who have dared to push the boundaries of what is achievable”, also diejenigen, die das Risiko eingegangen sind, die Grenzen des Erreichbaren weiter auszuloten, als es zunächst möglich schien.

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Das Heft liefert Werkstatt- und ganze Lebenseinblicke, fokussiert dabei auch die Anfänge und Risiken, die kreatives Schaffen mit sich bringt. Der Ton ist dabei stets ungekünstelt und erfrischend lebensnah: Meist in der Form von langen, aufschlussreichen Interviews und kurzen Features. Künstler, Kuratoren, Designer, Fotografen, Schauspieler und Musiker geben Auskunft über ihr Leben und Wirken. Und das Heft gibt ihnen Platz: Großformatig, stellenweise auch auf Hochglanz, sodass sich eine angenehme und anregende Balance einstellt: Neuartiges sehen – jeder Künstler wird durch sein Werk vorgestellt. Dadurch entsteht die Neugier, Einblick in das Leben eines Anderen zu bekommen, der dieses Stück Kunst geschaffen hat.

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Warum soll ich das lesen?
Bevor der Sommer reinplatzt: Noch ein bisschen Frühjahrsputz für Dein unter Verantwortlichkeiten und alltäglicher Routine verstaubtes Hirn. Frisch.

Risiken und Nebenwirkungen
Ist es schon zu spät? Die Gretchenfrage aus dem Vorwort führt ab sofort ihr ganz eigenes Leben in Deinem Kopf: “Has my window of opportunity passed?”

> The Great Discontent Magazine

Manuel Niemann

Bricks

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Jeder kennt die bunten Steine aus seiner Kindheit. Lego, das ist was für Kinder. Oder?

Stimmt nicht. Denn was früher dem Familienvater die Eisenbahn im Keller war und seinem Vater davor die Briefmarkensammlung, das ist heute für viele Lego. Nämlich ein Hobby, dem ich mich auch als Erwachsener widmen darf.

Seit 15 Jahren hat sich eine Szene erwachsener Bastler und Sammler entwickelt, die sich in Clubs organisieren und auf Conventions zusammenkommen. Zu finden sind AFOLs (Adult Fan of Lego) eigentlich überall, aber in den Staaten, UK und Deutschland sind sie besonders präsent. Klingt erst einmal alles total geeky, kennt man ja von Star Trek-Fans, die sich verkleiden, von Rollenspielern, die sich zu Brettspielabenden mit Kerkern und Drachen verabreden. Auch hier geht die Geek-Rechnung auf, oberflächlich betrachtet. Spielzeug und Star Wars: Wie sich zeigte, passen diese beiden Fan-Lager sehr gut zusammen. Eigentlich  total logisch.

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Mit Bricks ist nun in UK ein Magazin erschienen, das die Begeisterung für die kleinen Steine auf eine neue Ebene hebt. Denn es richtet sich explizit an die erwachsenen Spieler, Konstrukteure und Sammler. Hier gibt’s keine Comics, keine Gimmicks, keine Verweise auf die Animations-Serien, die mittlerweile zum Franchise gehören wie der rote Stein mit acht Noppen.

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Sondern: Ausführliche Berichte zu neuen Sets, etwa ein Star Wars Wookie-Ship oder ein riesiger Flugzeugträger (der “Helicarrier”) aus dem Avengers-Franchise. Aber Bricks ist kein Werbeheftchen für neues Spielzeug. In ausführlichen Interviews erzählen Fans von ihrem Hobby und zeigen ihre Konstruktionen, etwa Düsenjets und alte Formel 1-Chassis. Und die sind oft viel aufwändiger, detailreicher und komplexer als “echte” Sets von Lego, die man in jedem Geschäft kaufen kann. Natürlich finden aber auch die Beachtung, z.B. beim Blick zurück zum legendären Gelben Ritterschloss aus den frühen Achtzigern. Lego ist nicht nur eine Möglichkeit, sich kreativ auszutoben, es ist immer auch eine große Nostalgie-Kiste.

Mit 120 Seiten liegt Bricks gut in der Hand, in einem anständigem (vielleicht etwas zu vollgestopftem) Layout und mit ernsthaftem Zugang zum Thema. Kann man sich tatsächlich auf den Couchtisch neben den Spiegel legen. Falls den noch jemand liest.

Warum soll ich das lesen?
Bier brauen, Topflappen häkeln, Sternenzerstörer bauen: Jeder braucht ein Guilty Pleasure. Das hier wäre doch ein guter Anfang.

Risiken und Nebenwirkungen
Wenn Du nachts auf dem Weg zur Toilette auf einen Lego-Stein trittst, tut das immer noch genauso weh wie vor 20 Jahren.

Die zweite Ausgabe von Bricks ist soeben erschienen.

> Bricks online

Sven Job

National Geographic Traveler

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Sommerzeit ist Reisezeit. Ob es nun in die Berge, an das Meer oder in den Dschungel geht, warum nicht mit dem passenden Magazin einstimmen? Zum Beispiel mit der deutschen Erstausgabe des National Geographic Traveler, dem “meistgelesenen Reisemagazin der Welt”. Die englische Ausgabe des Traveler, herausgegeben von der altehrwürdigen National Geographic Society, befeuert seit 1984 das Fernweh seiner Leser. Nach über 30 Jahren dürfen also auch wir uns mit dem Heft an ferne Orte träumen. Den großen Bruder National Geographic Deutschland gibt es hierzulande immerhin schon seit 1999, herausgegeben von Gruner + Jahr .

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National Geographic Traveler punktet mit wunderbaren, großformatigen Bildern und packt die Welt auf knapp 115 Seiten. Bali, Tel Aviv, Kenia, Haie in Australien oder gleich die schönsten Nationalparks Amerikas: Mit der ersten Ausgabe setzt man auf die Big Points und geht so auf Nummer sicher. Im Stile der klassischen Reisereportage sind die Artikel in der Ich-Form geschrieben und erhöhen den Lesespaß damit deutlich. Allerdings bleibt National Geographic Traveler in seiner Die-Welt-ist-schön-Haltung auch recht oberflächlich. Doch schließlich soll die Vorfreude auf das Abenteuer angeregt werden, der Leser auch mal träumen dürfen. Das böse Erwachen kommt spätestens dann, wenn der Hai zubeißt.

Warum soll ich das lesen?
Du zählst schon die Tage bis zu Deinem nächsten Urlaub. National Geographic Traveler hilft Dir dabei, durchzuhalten.

Risken und Nebenwirkungen
Dein Chef erwischt Dich beim Lesen. Du hast nun ausreichend Zeit, die nächste Reise zu planen.

> National Geographic Traveler online

Florian Tomaszewski

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