“Aus der Hand” nennt Eva-Maria Schön ihre Fotogramme. Darin trifft Fotografie auf Malerei. Eine ganze Serie dieser nachbearbeiteten Aufnahmen erstreckt sich über die großformatigen Seiten der 109. Ausgabe von Lettre International. So leicht gibt man dieses Magazin in fast Doppel-A4-Format und mit beinahe 150 Seiten dann auch nicht mehr aus den eigenen Fingern. Denn wo andere sich abmühen, müßig im Sommer bloße Löcher zu füllen, nutzt Europas Kulturzeitung diesen weiträumigen (Spiel-)Platz. Die Bandbreite reicht dabei von Neandertaler bis Houellebecq, Grass zu Twitter. Von Grausamkeit zu Menschlichkeit, von kindlicher Psyche bis zum finalen suizidalen Akt.
Und macht auch vor den Grenzen Europas nicht Halt: So setzt das Heft – angenehm unaufgeregt und der Zeit enthoben – Brasilien als den letztjährigen Verlierer der Fußball-WM noch einmal in wirklich sehenswerte Bilder. Das Titelfoto sowie die im Heft immer wieder auftauchenden prächtigen Kostüme, die der peruanischen Folklore entstammen, hat Fotograf Juan Manuel Castro Prieto festgehalten. Sie zeigen einen Maskentanz des Teufels, das Gute gegen das Böse, und sieht man genau hin, entdeckt man bereits auf dem Titel im Maul des Ungetüms einen lachenden Mann.
Daneben widmet sich die Sommerausgabe – wieder aus gereifter Distanz – den Spekulationen um Osama bin Ladens Tod. Und damit verbunden der Hoffnung auf ein neues Afghanistan und positiven Veränderungen bei unseren “explosiven Nachbarn” im Osten und Süden. Seit 1988 erscheint das Heft im Vierteljahrestakt aus der Berliner Redaktion heraus in die ganze Welt. Neben der deutschen gibt es Ausgaben in italienischer, spanischer, ungarischer, rumänischer und sporadisch auch dänischer Sprache. Lettre International will ein Fest der Kreativität sein, aber auch eine Oase geistiger Freiheit, ein Ort der Gastfreundschaft, manchmal sogar ein Panorama aller Kulturen.
Das schlägt sich nieder in der Themenvielfalt, in den Reportagen, Fotoarbeiten, Essays und der Lyrik. Und diese Vielfalt ist allein schon offensichtlich in der Liste der Künstler, Autoren und Fotografen, die zu dieser Ausgabe beigetragen haben: Ganze zwei Seiten ist sie lang.
Warum soll ich das lesen?
Willst Du der Gefahr eines plötzlichen Sommerlochs trotzen, dann nimm Dir ein Heft von Format vor!
Risiken und Nebenwirkungen
Achtung: Verletzungsgefahr! Für sich Wind zufächeln ist Letter International wenig geeignet.
Manuel Niemann