Pineapple

Du trittst aus dem Haus in den Morgentau der Großstadt. Der Regen hat all den Schmutz weggespült. Von der Ferne hörst Du, wie in den Straßen das Leben erwacht und gehst los. Nichts ist vielleicht so schön, wie fremde Orte zu erkunden und Menschen kennenzulernen.

Nach diesem Prinzip funktioniert die Community Airbnb, bei der Menschen ihre Wohnungen kurzvermieten können – an Besucher, an Touristen und Gleichgesinnte. Das ist (teilweise) günstiger als ein richtiges, aber irgendwie anonymes Hotel – vielleicht fühlt man sich so auch gleich weniger fremd in der neuen Stadt. Das Prinzip ist weltweit ein großer Erfolg, auch wenn es in Deutschland Ärger gibt – München und Berlin wollen dieser Konkurrenz für Hoteliers einen Riegel vorschieben.

Wie auch immer, Pineapple ist so etwas wie die Hauszeitung von Airbnb – so wie Burger King eine hat, dm oder der ADAC. Aber schon irgendwie cooler. Und eigentlich doch ganz anders – Pineapple ist kein Ramsch, sondern ein über 100 Seiten starker Reiseführer für eine Generation, die niemals in ein Holiday Inn gehen würde. Ein inhaltlich und gestalterisch anspruchsvolles Heft, das sich 11 € wert ist. Und das keine Werbung machen will, sondern einen nachhaltigen und gefühlt authentischen Lebensstil vermitteln will. Dafür haben sich die Macher im ersten Heft drei Städte näher angesehen: London, Seoul, San Francisco. Und lassen Menschen aus ihren Neighborhoods von alternativen Wohnentwürfen erzählen. Und wir erfahren auch, was man in der Stadt so machen kann – vom Wandern über Seouls Hügel bis zum Erkunden der unzähligen Food Markets in London. Ein bisschen Reisefieber bekommt man da schon.

Warum soll ich das lesen?
Radeln über die Golden Gate Bridge und grünen Tee trinken in einem alten koreanischen Teehaus – wenn Du Dich nicht raus traust, ist Pineapple vielleicht das richtige Magazin für Dich.

Risiken und Nebenwirkungen
Urlaub machen mit den Schwiegereltern im Bergischen Land ist irgendwie nicht mehr so geil.

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Sven Job

Die Kindertseitung

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Der Bravo geht langsam die Puste aus, Micky Maus hat auch schon bessere Tage gesehen und Yps ist inzwischen ein Heft für Erwachsene, die in ihre eigene Kindheit zurückspringen. Rosig sieht es auf dem Zeitschriften-Markt für Kinder und Jugendliche nicht unbedingt aus – rosa aber schon. Wer selbst Kinder hat, kennt die Quengelware vor der Supermarkt-Kasse oder vom Kiosk um die Ecke. Diese Magazine punkten oft mit bekannten Gesichtern wie Spongebob oder Lillifee und sind meist mit Gimmicks versehen, die zum Kauf verleiten sollen.

Es geht aber auch anders. Wo die bunten Hefte den Markt im Einzelhandel beherrschen, stemmt sich die Grafikerin Daria Holme aus Mannheim mit ihrer Kindertseitung dagegen. Die macht sie seit schon zehn Ausgaben praktisch im Alleingang, beziehen kann man das Heft zweimal im Jahr über ihre Website.

Jede Veröffentlichung behandelt ein Thema mit einer ganz eigenen Note – ob es um Wasser geht, das Alphabet, die Stadt oder die Schule. Oder, noch viel unmittelbarer: die Farbe Rot und alles, was rund ist. Dabei regen die 52 Seiten zum Mitmachen an: Es gibt genug auszumalen und einzukleben und auch Geschichten finden für die Zielgruppe im Lese- und Vorlesealter ihren Platz.

Aber: Die 14 Euro muss man sich als Eltern leisten wollen. Für ein Heft, das viele tolle Ideen hat – aber auch ganz schön “unbunt” wirkt. Das Cover ist z.B. nicht ohne. Andererseits können die kleinen Leser ja selbst Farbe ins Heft bringen. Do it yourself! Dazu kommt, dass viele das Heft nicht kennen, weil sie es eben nicht im Supermarkt oder an der Tankstelle finden. Vielleicht sollte die Kindertseitung den direkten Kampf mit Klonkriegern, Geolino und Einhörnern aufnehmen?

Warum soll ich das lesen?
Früh anfangen mit guten Magazinen kann jeder. Auch meine kleine Nichte hatte ihren Spaß – und sie ist eigentlich nur auf dem Spielplatz zu Hause.

Risiken und Nebenwirkungen
Wenn die Konkurrenz auf die Kindertseitung aufmerksam wird, könnte es hässlich werden – gibt es dann bald die BILD für Kinder?

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Sven Job

N#mmer

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Schuld ist Dustin Hoffmann. Immer noch bestimmt seine Darstellung des “Rain Man”, der gleichnamige Film ist von 1988, das Bild vieler, wenn es um Autismus geht. Ein kauziger Sonderling, der das Telefonbuch auswendig lernt oder mit nur einem Blick auf den Boden gefallene Streichhhölzer zählt. In den letzten Jahren ist schließlich noch eine andere mediale Zuschreibung hinzugekommen: der Autist als gefühlskalter Roboter. Eigentümliches Verhalten ist häufig “autistisches” Verhalten, dem damit Charakterisierten wird ein Mangel an Empathie attestiert. Beide Sichtweisen würdigen jedoch Menschen mit Autismus herab und haben kaum etwas mit der Realität gemein.

So verwundert es nicht, dass sich Herausgeberin Denise Linke im Editorial der ersten N#mmer-Ausgabe offensiv gibt: “Kämpf für euch, kämpft für eure Lieben.” Linke, die selbst vor wenigen Jahren die Autismus-Diagnose erhielt, finanzierte ihr Magazin via Crowdfunding und richtet sich mit diesem an alle “Autisten, AD(H)Sler und Astronauten”. Als Astronauten sind übrigens alle Nicht-Autisten gemeint, die Besucher einer noch fremden Welt sind.

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Inhaltlich setzt die Premierenausgabe ihren Schwerpunkt auf ein Thema, mit dem allerdings jeder etwas anfangen kann: Liebe. So berichtet eine autistische Frau über die Herausforderungen der Partnersuche – oder das Thema BDSM wird in einem ausführlichen Gespräch mit Autisten und Nicht-Autisten erörtert. Dies sind interessante und persönliche Einblicke, die dem Leser einen Perspektivenwechsel ermöglichen. Daneben gibt es aber auch kritische Texte zur Ursachenforschung, Diagnostik und Therapie. Gelegentlich fallen diese zu herausfordernd und subjektiv aus – etwas weniger “Wir gegen sie” würde an mancher Stelle nicht schaden.

Das Layout orientiert sich an Publikationen wie Dummy oder Neon und lockert das unkonventionelle Thema des Magazins auf. Vielleicht gelingt es damit auch, Leser anzusprechen, die bisher keine Erfahrungen mit Autismus gemacht haben. Zu wünschen wäre N#mmer eine breite Leserschaft allemal.

Warum soll ich das lesen?
N#mmer bietet interessante Sichtweisen und ermöglicht dem Astronauten vielleicht sogar den Schritt in unbekanntes Terrain.

Risiken und Nebenwirkung
“Houston, wir haben ein Problem!”

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Florian Tomaszewski

Camp

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Dass ein Comicmagazin aus den fünfziger Jahren Camp hieß, ist für diese indirekte Neuauflage ein Glücksfall. Verbindet man damit doch dieser Tage nicht nur das Camp als das Abenteuerlager, das damals gemeint war, sondern eher das kulturwissenschaftliche Konzept. Dieses Konzept spricht über den Begriff “Camp” dem Trivialen, dem Kitschigen und Prätentiösen einen Wert zu, anstatt es einfach als banal zu verwerfen. Etwas als Camp wahrzunehmen, stellt eine gewisse sarkastische Distanz her – so wie wenn man aus ironischen Gründen Rosamunde Pilcher liest.

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Das Magazin besteht aus drei Säulen: “Comic, Illustration und Trivialkultur”. Die Comic-Säule ruft unbekanntere und lang vergessene Veröffentlichungen von vor allem deutschsprachigen und amerikanischen Comics zurück ins Leben der Aufmerksamkeit. Wer weiß schon, dass Lupo, ein schräger Outsider-Charakter aus dem Fix&Foxi-Universum, eine eigene Comicreihe hatte?

Wenn schon diese langvergessenen Comicreihen heute ein sprichwörtliches Stiefmütterchen-Dasein fristen, dann sind die Illustrationen der “Pulp Fiction” und Dreigroschenromane, die die zweite Säule des Heftes ausmachen, die noch unbeachtetere alte Nachbarin eben dieser Stiefmutter. Man lernt also nicht nur etwas über krude Comicraritäten, sondern vielleicht mehr noch über ihre Zeit und die Kultur, in der diese entstanden sind.

Die dritte Säule schließlich bilden kulturwissenschaftliche Essays zur Trivialkultur, in der Erstausgabe prominent vertreten unter anderem vom ehemaligen Spex-Autor Georg Seeßlen und (als Nachdruck) Michael Chabon.

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Camp verströmt Nostalgie, und das verrät nicht nur eine Menge über die Geschichte der Comics, sondern auch über unsere Gegenwart, in der man sich für so etwas wieder zu interessieren beginnt. Camp ist dabei auch ein Schrei gegen das Vergessen. Und nur weil dieser Schrei in einer Sprechblase steht, ist er deswegen nicht weniger laut.

Warum soll ich das lesen?
Du kannst Dich in Deine Jugend zurückversetzen, in das Camp der Kindheit, oder aus der Distanz das Skurrile und das Campy-Ironische lesen. Kommt darauf an, wie alt Du bist.

Risiken und Nebenwirkungen
Gehörst Du zur ersten Gruppe, wird Dir klar, wie alt Du wirklich bist.

> Camp – Magazin für Comic, Illustration und Trivialkultur online

Ulrich Mathias Gerr

Alfonz – Der Comicreporter

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Es ist schon längst keine Neuigkeit mehr, dass Comics hierzulande eine Wiederentdeckung erfahren. Seit knapp 3 Jahren begleitet Alfonz – Der Comicreporter den deutschsprachigen Comicmarkt. Alle drei Monate übt das Magazin dabei den Spagat zwischen Berichten zu relevanten Neuerscheinungen, Artikeln über die Comickultur und deren prägende Akteure. Die Mischung, das hinzubekommen, ist nicht immer leicht und gelingt wohl auch nicht immer. Es sind schließlich die alten Probleme eines jeden Magazins: Wie speziell soll es sein? Wie allgemein?

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Alfonz ist ein spezielles Magazin, weil die deutsche Comicszene trotz einer wachsenden Anerkennung in der letzten Dekade recht klein geblieben ist. Andererseits nähert sich Alfonz dem Thema Comics eher allgemein, weil sich dieses Medium mittlerweile stark ausdifferenziert hat, die Redaktion aber alle Leseinteressen von Disney, Marvel, der hiesigen Indiecomixszene um das Label Reprodukt bis zu japanischen Mangas berücksichtigen möchte. Ein klassisches Dilemma also: Alfonz will möglichst viele Teilbereiche des umfassenden Hobbys “Comics” abdecken und gleichzeitig nicht beliebig wirken. Dazu kommen Schwerpunktthemen: In der aktuellen Winterausgabe zum Beispiel widmet sich Alfonz Erika Fuchs, der Übersetzerin der klassischen Ehepa-Disney Comics ins Deutsche, angesichts der Eröffnung eines Fuchs-Museums.

Alfonz ist nicht weniger als der Versuch, ein Magazin über ein ganzes Medium zu machen, das zudem nur vierteljährlich erscheint. Wenn man viel über Superhelden schreibt, glaubt man wohl irgendwann, selbst über Superkräfte zu verfügen.

Warum soll ich das lesen?
Nicht nur all die aktuellen Bilder, Panels und Bubbles will ich lesen, sondern auch über Bilder, Panels und Bubbles.

Risiken und Nebenwirkungen
Die nette Frau gegenüber von Dir in der S-Bahn hat das Wort “Nerd” in einer Gedankenblase über sich hängen. Und das alles nur, weil du Alfonz liest.

Ulrich Mathias Gerr

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