“Es ist sehr viel schöner, durch die Seiten zu blättern und das Papier zu fühlen”

Magpile ist ein neuer Online-Dienst, der sich komplett um Hefte dreht. So wie wir – nur ganz anders. Wie, warum, wo und überhaupt? Wir haben Gründer Dan Rowden befragt.

Was genau ist Magpile?
Magpile ist eine neue Online-Community für Leser von Magazinen. User können ihre Sammlungen erfassen, neue Magazine entdecken und an einer Datenbank mitarbeiten, die immer weiter wächst und in der alle möglichen Magazine zu finden sind, weltweit.

Was hat das Projekt für einen Vorteil?
Leser können über Magpile verfolgen, welche Magazine sie selbst besitzen und welche Ausgaben ihnen noch fehlen. Sie können sich auch mit anderen Usern verbinden. Das Archiv wächst immer weiter und steht jedem User als Quelle für hunderte von Magazinen zur Verfügung. Verleger wiederum haben Einsicht auf Statistiken für ihr Magazin und können die Seite als Ausgabenarchiv nutzen.

Was ist denn der Vorteil gegenüber der Magazinsuche über z.B. Google?
Magpile ist ein Archiv, das man navigieren und durchsuchen kann – man findet schnell ein bestimmtes Magazin nach Namen oder Genre, aber auch ähnliche Angebote, zusätzlich zu denen, die man schon kennt. Innerhalb von wenigen Monaten kann man so hunderte von relevanten Magazinen finden, von denen man noch nie gehört hat. Google kann das nicht. Dazu kommen Social Features rund um das Thema Magazin.

Woher stammen die Mitglieder?
Die meisten sind aus Großbritannien und den Vereinigten Staaten, aber auch aus Australien und Europa.

Sind die Medien schon auf Magpile aufmerksam geworden?
Magpile wurde bereits auf einigen größeren Blogs (magCulture, PBS MediaShift) erwähnt und auch in der ELLE (UK). Die meisten erfahren von Magpile über Soziale Netzwerke. Ich poste Updates über Twitter und Facebook – mehr mache ich nicht, um die Seite zu bewerben. Schön zu sehen, dass andere mir da helfen.

Magpile-Gründer Dan Rowden

Welche Art Magazine findet man denn hauptsächlich auf Magpile? Was denkst du, woran das liegt?
Die meisten sind Indie-Veröffentlichungen. Scheinbar wollen die User die kleineren Magazine herzeigen, die sie lesen. Das eigenständige Verlegen einer Zeitschrift ist allgemein auf dem Vormarsch und es ist toll, das zu unterstützen. Neben diesen kleinen Indie-Heften sind die größeren “coolen” Mainstream-Magazine dabei; Wired, Monocle, Bloomberg Businessweek, TIME, Vogue, Esquire etc. Die meisten Magazine sind der “Culture”-Rubrik zugeordnert, aber ich denke das ist auf dem Zeitschriftenmarkt generell auch so.

Findest du Printmagazine den digitalen überlegen? Und wenn ja, warum?
Ich finde es nie richtig angenehm ein Magazin digital zu lesen – der Bildschirm ist eine Begrenzung und auch das Format des Computers oder Tablets. Dagegen ist es sehr viel schöner, durch die Seiten zu blättern und das Papier zu fühlen. Es ist eine persönlichere Erfahrung und außerdem lässt man sich nicht so leicht ablenken wie beim digitalen Lesen – da kann man jederzeit auf “exit” drücken, um seine Mails zu checken oder ein Spiel zu spielen!

Was sind zur Zeit deine Lieblingsmagazine?
Ich abonniere Monocle, Wired (UK), Apartamento, Brownbook und Offscreen. Das sind im Moment meine Big Five. Aber ich liebe es auch, neue Magazine zu entdecken und zu lesen. Gerade die kleinen, unabhängigen. Ich mag auch The Green Soccer Journal, boneshaker und Dwell.

> Magpile
> English Interview

Das Interview führte Sven Job

Spielplatz

Die Gamescom, größte Spielemesse weltweit, hat ihre Pforten wieder geschlossen. Passend dazu schauen wir uns nach WASD das nächste Indie-Heft zum Thema Videospiele an: Spielplatz.

Nun gibt es auf dem Markt der Spielmagazine jene, die hauptsächlich Kaufempfehlungen aussprechen und mit Leistungstabellen die technische Seite betonen. Und eben jene wie WASD und in ähnlichem Maße auch GEE, die das Thema Videospiel als Objekt gesellschaftlicher Veränderungen und Ausdruck moderner Zeiten theoretisieren wollen.

Zwischen den digitalen Polen

Das digitale Heft Spielplatz liegt irgendwo dazwischen. Der Ansatz: Unter dem Claim “Games für alle” die digitalen Felder von heute und morgen zu demokratisieren. Spielen ist schließlich für alle da, demzufolge drückt sich das auch in der Themenbreite der ersten Ausgabe aus: Ein Artikel über Lernspiele richtet sich an die Elternschaft, ein anderer beleuchtet ein kleines Entwicklerstudio – über den digitalen Tellerrand hinaus. Und überhaupt spricht der Großteil der Artikel den Casual Gamer an, der seine Zeit bei Social Games auf sozialen Netzwerken oder in Flugsimulatoren verbringt. Ob über diese edle Idee einer geeinten Leserschaft wirklich alle dort abgeholt werden, wo sie mit ihrer Videospiel-Erfahrung stehen, darf zumindest angezweifelt werden. Auf ganzen drei Seiten findet etwa ein Vergleich der aktuellen Konsolen statt – das ist selbst für die Bedürfnisse eines Einsteigers in dieses Hobby viel zu knapp. Und der Bericht über die dubiosen Datensammelmethoden von Facebook und seinen eingebetteten Spielepartnern wie Farmville hat eigentlich keine Informationen zu bieten, die nicht schon jedem bekannt sein dürften. Besser machen es die Besprechungen aktueller Spieltitel – hier kann das unaufgeregte Layout endlich seine Stärken ausspielen. Wenige, aber großformatige Bilder und eine klare Sprache geben dem Heft jene Wertigkeit, die sonst inhaltlich etwas zu kurz kommt.

Warum soll ich das lesen?
Spielplatz richtet sich an den Gelegenheitsspieler, der “sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzen” will. Hier also die Gelegenheit, und es gibt sie kostenlos online für jeden.

Risiken und Nebenwirkungen
Bald treibst auch du Dich auf der Gamescom herum. Dabei wolltest Du doch ursprünglich nur erfahren, was eigentlich diese “Wii” sein soll! Danach hat sich Deine Videospielkarriere irgendwie verselbstständigt. Die Spielplatz hatte daran ihren Anteil.

Die zweite Ausgabe ist erschienen und auf der Website abrufbar.

> Spielplatz online

Sven Job

WASD

Seit einiger Zeit ist etwas anders in Computerwonderland. Die GEE hat angefangen, endlich ziehen weitere nach: Computerspiele erschöpfen sich nicht in Performance-Statistiken, Hardware-Beratung und Frames pro Sekunde. Games lassen sich nicht in blanken Zahlen beurteilen. Und es gibt Magazine, die diesen Umständen Rechnung tragen.

WASD ist genau so ein Magazin, das sich wenig um Gamer-Mehrheiten schert, wenig um Konventionen, was eine Rezension eines Videospiels ausmacht und was nicht. Nein, streichen wir die Bemerkung mit dem Magazin: Was da in meinen Händen liegt, ist eigentlich schon ein Buch – kleinformatig, aber über 200 Seiten dick. In ihm finden sich Essays und Rezensionen, persönlich gefärbte Erzählungen und sogar ein Text über – Videospielmagazine selbst. Eine Geschichtsstunde in einem Heft, das mit dem hohen Anspruch angetreten ist, eine eigene Sprache für Videospiele und ihre Kultur zu finden. Und das fürs Erste auch mehr als ordentlich macht.

Thema der ersten Ausgabe: “Tasty Trash”. Müll also, der einem Bauchschmerzen verursacht, doch auf eine Weise auch fasziniert – davon handelt ein guter Teil der Texte. Vom Versprechen des Videospiels, uns gut zu unterhalten. Und wie wir reagieren, wenn dieses Versprechen nicht eingelöst wird. Was macht ein gutes Spiel aus und was nicht? Was fesselt uns an vermeintlich “schlechten” Spielen? Wie können sie uns Spieler und auch die Entwicklung zukünftiger Videospiele voranbringen? Viele gute Fragen, die WASD zwischen “E.T.” und Game Boy, Modding-Szene und Ego-Shootern exemplarisch in Ausgabe Eins zu beantworten sucht. Und damit offenlegt, wie ernst das Magazin es meint – mit der angeblich so anspruchslosen wie eindimensionalen Spieletätigkeit. Wissenschaftliche Versuchsanordnungen stehen fast existenziellen Nachforschungen über das Wesen der Spielkultur gegenüber. So versucht ein Artikel etwa den Reiz eines Flash-Spielchens zu ergründen, das per Definition nicht zu gewinnen ist. Sisyphos zeigt sein digitales Antlitz. Diesen Stoff darf der geneigte Leser in der Computer Bild Spiele lange suchen. Anderswo geht es um die Suchtwirkung, die digitale Welten entfesseln können. Weil es eben eine Leidenschaft ist. Merkt man auch den Texten an.

Wie es nach Ausgabe Eins weitergeht, halten die Macher übrigens offen. Mit einem Augenzwinkern ermuntern sie den Leser dazu, ein bisschen zu Bitten und zu Flehen. So wie sie es vielleicht selbst immer getan haben, wenn ihre Videospielfigur an einer kniffligen Stelle den Heldentod gestorben oder im Lieblingsadventure ein Rätsel einfach nicht zu knacken war. Spieler mit Leib und Seele.

Warum soll ich das lesen?
Das Leben ist ein Spiel. Nämlich genauso ernüchternd, berauschend, fordernd und fast so bunt. Aber keiner will Dich verstehen. Hier kommt Dein theoretisches Rüstzeug.

Risiken und Nebenwirkungen
Nächte mit “Civilization” zu verbingen, bekommt einen philosophischen Sinn – die WASD hat es Dir so erzählt. Nur: Was wird aus Deinem echten Leben?

> WASD online

Sven Job

Landluft

Zwei Jahre nach Landluft – das Wendland-Magazin aus dem Alte Haus Verlag erscheint nun Landluft – das Remstal-Magazin. Diesmal hat sich die Reportage-Agentur Zeitenspiegel der Huldigung einer Region angenommen, für deren Einordnung die meisten wohl erst einmal eine Deutschlandkarte benötigen (Baden-Württemberg, östlich von Stuttgart).

Objektivität wird schon im Editorial ausgeschlossen, schließlich liegt der Verlag selbst mitten im thematisierten Areal. So wird der Leser bereits auf der ersten Seite schwärmerisch auf ein “Paradies” eingestimmt. Ein “Landstrich zum Niederknien” sei das Remstal, “Deutschlands schönste Landschaft”. Landluft als modernes, gut gemachtes Fanzine. Warum auch nicht? Von Fans für Fans.

Das gesamte Magazin steckt im Grunde genommen voller Triumphe, verpackt in persönliche Reportagen und Porträts aus der Region. Erfolgreiche Unternehmer,  erfolgreiche Schulen, erfolgreiches Handwerk. Es scheint nichts zu geben, was im Remstal nicht gelingen kann. Vorausetzung dafür ist natürlich die Beherzigung ländlicher Tugenden wie Fleiß, Disziplin und Loyalität. Bebildert werden die Berichte mit Aufnahmen von urigen Gaststuben, prächtigen Wassermühlen und satten Landschaftspanoramen. Die Menschen auf den Fotos lachen und präsentieren stolz ihre Errungenschaften in Form von Salzkuchen, Weinreben und modernen Fabrikanlagen. Auf jeder Seite scheint es zu zischen, zu dampfen und zu pulsieren. Eigentlich müsste dieses Magazin aus Fichtenholz geschnitzt sein. Denken japanische Touristen an Deutschland, dann denken sie vielleicht an das Remstal.

Warum soll ich das lesen?
Landluft ermöglicht dir nach Flatrate-Saufen und Cybersex das dringend benötigte Refugium.

Risiken und Nebenwirkungen
Du gerätst ein bisschen zu sehr ins Träumen und kriegst nicht mit, wie dir jemand das Smartphone aus dem Jutebeutel klaut. Verdammte Stadt!

> Landluft online

Florian Tomaszewski

TISSUE

Es ist die Szene, die ein düsteres Stück Fernsehunterhaltung einleitet und in diesem Moment definieren sollte: Ein Mädchen wird an die Küste eines beschaulichen Städtchens gespült. Es ist in einen Totensack gehüllt, sein Lächeln kalt, die Haut schneeweiß. Es ist schon eine Weile tot. Das Mädchen ist Laura Palmer. So beginnt eine der bedeutungsvollsten und einflussreichsten Fernsehserien der Neunziger Jahre. Es ist Zeit für Twin Peaks. Auf dem Cover der DVD-Fassung ist die Homecoming Queen zu sehen – lebendig und im Porträt, eingefasst in blau. Ein Leben zwischen Vergehen und Schönheit, Kunst und Inszenierung. Die erste Ausgabe von TISSUE erinnert sehr stark daran, in jeder Hinsicht.

Unten ohne, oben ohne, im Käfig oder im Schnee

TISSUE ist ein Kunstmagazin. Die Betonung liegt eindeutig auf den schönsten Dingen: Fotografie und Sex. Dabei lassen seine Macher Uwe Jens Bermeitinger und Hans Bussert, die davor schon das NUDE Magazin herausgebracht haben, kaum ein Detail aus. Das darf man wörtlich verstehen – das Poster zum ersten Heft etwa zeigt verschwommen eine Frau von unten, nackt. Das zweite einen aufgedunsenen Arsch. Alles ist Kunst, und Kunst ist vielleicht auch alles: Das mag das Motto von TISSUE sein. So gibt es eigentlich keine Barrieren in diesem Heft voller Fotostrecken: körnige Aufnahmen, nackte Körper in Schneelandschaften und Wohnzimmern. Wo die Bilderstrecken die erste Ausgabe noch dominieren, öffnet sich das Folgeheft mehr auch Textbeiträgen, die der optischen Komponente gelegentlich einen nötigen Subtext verleihen. Oder einfach nur nett zu lesen sind, wie die Erzählung über einen großen Pornostar der Siebziger Jahre (“Vanessa the Undresser”), der ein Mädchen schon von klein auf begeistert hat. Das ist TISSUE: Kunst für den Kunststudenten, interessant für alle anderen. Na zumindest für den ein oder anderen.

Warum soll ich das lesen?
Ein bisschen Schmutz soll auch Deinen Alltag in neuen Glanz tauchen. Kunstführer hin, Kleenex her.

Risiken und Nebenwirkungen
Du hängst die beigelegten Poster in Deiner Wohnung auf. Nicht jeder ist davon so begeistert wie Du.

> TISSUE online

Sven Job

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