Das Magazin

Der Hochsommer 2013 hält Deutschland in unbarmherzigem Griff. Da ist es gut, wenn einem beim Blick in die Auslagen der Bahnhofsbuchhandlung die Sommerausgabe von Das Magazin in die Hände fällt. Der Titel strahlt dem Betrachter schön nostalgisch entgegen. Sommerloch hin oder her; aus Tradition und Erfahrung, die auf fast 60 Jahre zurückblickt, zieht das Kulturmagazin in diesen Wonnemonaten zwei Monatshefte zu einem zusammen. Auch sonst geht es hier zwangloser vonstatten: Für die in der “Zone” Aufgewachsenen hat sich Das Magazin vor allem für die unzensierte Freiheit unverhüllter Körper eingebrannt. Gewichen ist das einem Potpourri von allem Möglichen: Gesellschaft, Alltag, aber auch kluger, unverkrampfter Lebensart. Zudem finden in dem Heft Kunst- und Kulturabkömmlinge ihren Platz, die anderswo oft etwas stiefmütterlich behandelt werden, wie Grafik, Fotografie und literarische Kleinstformate.

Irgendwie vermutet man in dieser Doppelausgabe, in Gestus und Gestaltung, das große The New Yorker-Vorbild. Ebenso präsent ist aber das Provinzielle und Schnodderige, für das Berlin immer noch steht. Neben den Start-Ups und journalistischen Zines, die die Stadt ermöglicht, bleibt Das Magazin damit ein Sinnbild für Berlin. Immer noch.

Warum soll ich das lesen?
Laut Titelgeschichte hat Kurt Tucholsky gerne mal 22 Kreuzworträtsel an einem Tag gelöst. Eine Alternative für diese Hundstage ist und bleibt die Lektüre von Das Magazin.

Risiken und Nebenwirkungen
“Für alle, die Meer wollen” prangt auf dem Cover. Bist Du im Osten aufgewachsen, denkst Du dabei vielleicht an den Urlaub auf Rügen, damals, FKK und Fluchtversuch inklusive. Und es kommt die Sehnsucht hoch, vielleicht auch Erleichterung. Das mag ein bisschen viel sein für einen faulen Sommertag.

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Manuel Niemann

Die Zeitschrift der Straße

Das Bremer Straßenmagazin Die Zeitschrift der Straße trägt seinen Titel völlig zu Recht, schließlich wird pro Ausgabe eine bestimmte Straße, ein Viertel, mitunter sogar ein einzelnes Hochhaus der Hansestadt zum Thema gemacht. Einen ähnlichen Ansatz, wenn auch anders umgesetzt, haben wir erst kürzlich mit dem Berliner Magazin Flaneur vorgestellt. Wo sich dieses jedoch eher kunstsinnig und abstrakt gibt, setzt Die Zeitschrift der Straße auf Realismus, stellt die Menschen in ihrem Alltag und Schaffen vor. Was treibt die Leute an? Wie sind sie hier gelandet? Zu erzählen haben sie alle Außergewöhnliches.

Das Magazin erscheint seit 2011 und ist ein Projekt der Hochschule für Künste Bremen und der Hochschule Bremerhaven in Zusammenarbeit mit der Inneren Mission in Bremen und der GISBU Bremerhaven. Durch sein Hochformat fällt Die Zeitschrift der Straße schon äußerlich ins Auge, da man sich damit tatsächlich von anderen Publikationen abhebt. Eine weitere gestalterische Besonderheit sind die vorausgehenden Beobachtungen im oberen Teil des Heftes, eine Art Reporternotizen, die sich abtrennen lassen.

Nicht nur das Design macht Freude, auch inhaltlich hat Die Zeitschrift der Straße viel zu bieten. Unterstützt von eindrucksvollen und klaren Bildern, steht der jeweilige Mikrokosmos der Ausgabe im Mittelpunkt. Dabei kommen die Menschen in Interviews selbst zu Wort, ungewöhnliche Geschäfte und Projekte werden vorgestellt oder einfach nur das Treiben auf der Straße beobachtet. Zu Recht ist Die Zeitschrift der Straße, die sechsmal jährlich erscheint, schon mit diversen internationale Preisen ausgezeichnet worden.

Warum soll ich das lesen?
Weil Du für zwei Euro ein gut gemachtes, lesenswertes Magazin erhältst. Und schließlich kann der Straßenverkäufer davon einen Euro behalten.

Risiken und Nebenwirkungen
Das Straßenmagazin Deiner Stadt kann da nicht mithalten. Du wirst wohl nach Bremen ziehen müssen.

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Florian Tomaszewski

Still

Irgendwie verloren stehen die beiden kleinen Pilze da, eng aneinander geschmiegt in den Fugen der Bodenfliesen. Als hätten sie sich verlaufen und der Größere muss nun auf den Kleineren achtgeben. Das Cover von Still lädt zum Phantasieren und Geschichten erzählen ein. Womit wir natürlich gleich beim Thema des “Magazins für junge Literatur und Fotografie” wären: Die Lust an Fiktion und Imagination, das kreative Spiel mit Worten und Bildern. Jede Geschichte erzeugt schließlich Bilder im Kopf des Lesers, wie ja auch ein einzelnes Bild mit seinem Betrachter spricht. Beide Kunstformen in einem Magazin zu vereinen, liegt also nahe.

Bereits im März wurde in Berlin das Debüt veröffentlicht, mittlerweile bereitet man dort Ausgabe Nummer zwei vor. Still vereint Lyrik, Kurzgeschichten und Romanauszüge mit kunstvollen Fotoserien. Überwiegend stammen diese von jungen Künstlern, die auf den letzten Seiten in Kurzporträts vorgestellt werden. Das Heftinnere wirkt aufgeräumt und übersichtlich, auf grafische Spielereien, die ablenken könnten, wird verzichtet. An mancher Stelle ist die Dichtung etwas zu kryptisch und skizzenhaft geraten, aber ein Fragezeichen anstelle eines Ausrufezeichens ist hier sicher beabsichtigt. Wo würden wir denn da hinkommen, wenn wir alles verstehen?

Warum soll ich das lesen?
“Beim Lesen lässt sich vortrefflich denken” – Leo Tolstoi

Risiken und Nebenwirkungen
“Worte sind das stärkste Rauschgift, das die Menschheit verwendet.” – Rudyard Kipling

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Florian Tomaszewski

Share


Früher war der Status wichtig und Besitz, heute vielmehr, sich zu entspannen und schonend mit eigenen und fremden Ressourcen umzugehen. Ist doch so, oder?

Wenn es nach dem neuesten Magazin aus dem Burda-Verlag namens Share geht, ist das auf jeden Fall so. Denn wodurch definiert sich unsere Generation? Inzwischen fällt so manchem als erstes ein, dass wir nicht mehr kaufen, nicht mehr besitzen wollen, sondern lieber “teilen”, was wir haben. Und das ist alles Mögliche: Autos, Schuhe, Wohnungen, Liebhaber, Werkzeug, Musik, Wissen, Garten. Wie das im Einzelnen geht, erklärt Share. Und zwar Thema für Thema. So wirkt das brandneue Heft im Zeitschriftenhandel auch oft wie ein How-To-Ratgeber für eine bessere Welt. Viel mehr noch aber: für ein besseres eigenes Wohlgefühl.

Entspannt Euch!

Mit seiner alternativen Grundhaltung schlägt Share in dieselbe Bresche wie schon Enorm, das nachhaltigen und modernen Konsum zum Thema nimmt. Es ist aber mindestens so nahe an einem anderen Lifestyle-Heft gebaut, das Glamour mit einem Touch alternativem Lebensentwurf zu verbinden sucht – das Food-Mag Treat aus dem letzten Jahr, ebenfalls von Burda, ebenfalls von Journalistenschülern konzipiert und umgesetzt. Wundert es da, dass sich die Magazine so ähnlich sehen?

Aufmachung und Layout stehen im Geiste von Neon und Konsorten, inhaltlich rückt Share zuweilen der Instyle oder Gala auf die Pelle. So wird etwa eine Designer-Handtasche vorgestellt – die Dame eben auch mieten, also teilen kann. Und das einstige It-Girl Ariane Sommer outet sich als “Sharing-Caring-Queen”. So ist das also. Für den Anfang bleibt aber ein Heft, das sich inhaltlich klare Ziele vorgenommen hat – sehr schön! Doch werden schon so viele Arten von “Sharing” im Debüt-Heft durchdekliniert – ob da noch viel für zukünftige Ausgaben übrig bleibt? Das soll aber fürs Erste nicht stören. Und wer Share ausgelesen hat, kann das Heft ja an jemand anderen weitergeben. Das müsste den Machern doch gefallen.

Warum soll ich das lesen?
Für insgesamt nur 13 Minuten nimmt ein Nutzer seine Bohrmaschine in die Hand. Bei Share dürften es schon ein paar mehr sein.

Risiken und Nebenwirkungen
Du probierst alle Formen des modernen “Sharing” im Heft einmal durch. Und stellst fest, dass bei “polyamourösen Beziehungen zu dritt” Schluss ist. Vielleicht aber auch schon bei der Fahrgemeinschaft.

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Sven Job

Flaneur

Die besten Geschichten findet ein Reporter immer noch vor der eigenen Haustür. Auch so eine Binsenweisheit, die in jeder Journalistenschule gelehrt wird (mutmaßt der Autor dieser Zeilen einfach mal, er hat ja nie eine von innen gesehen). Vermutlich ist da was dran, schließlich braucht heute niemand für eine gute Geschichte um die halbe Welt zu reisen – wer soll das auch bezahlen? – und der Lokaljournalismus erlebte dank des Internets ein erstaunliches Comeback. Das sich mit dem Credo “Auf der Straße warten die Storys” sogar ein Magazin stemmen lässt, beweist Flaneur. Wobei es hier korrekterweise heißen muss: “Auf einer Straße warten die Storys”.

In seiner ersten Ausgabe widmet sich das englischsprachige Heft ausschließlich der Kantstraße in Berlin. Auf einer Länge von gut 2 Kilometern zieht sich diese durch Charlottenburg, einmal quer über den Savignyplatz, am östlichen Ende die Gedächtniskirche, im Westen das Amtsgericht von Charlottenburg. Dazwischen jede Menge Leben und Erlebnisse. Flaneur erzählt diese auf 110 kunst- und geheimnisvollen Seiten. Findet alternative Nutzungsmöglichkeiten für den grünen Mittelstreifen der Straße, stellt Läden und ihre Besitzer vor, zeigt einen berauschten Abend am Tresen und lässt einen Kellner der berühmt-berüchtigten Paris Bar zu Wort kommen.

Dabei ist Flaneur wunderbar verschwenderisch. Zwischen Kunst und Reportage fordert es seinen Leser heraus. Nicht alles ist so deutlich wie die Fotoserie “A Night At Goldener Löffel”; manches ist erst einmal abstrakter und für den Leser undurchsichtiger. So legt man das Heft auch zunächst gar nicht aus der Hand, will entdecken und verstehen. Kein Fremder mehr auf der Straße sein. Ihr Wesen begreifen, die Typen kennen. Jede Straße erzählt tausende Geschichten – wir müssen nur genau hinhören.

Warum soll ich das lesen?
Es gibt Magazine über Länder, Regionen, Städte. Ein Magazin über eine einzige Straße ist der logische Schritt.

Risiken und Nebenwirkungen
Wir wagen uns kaum auszumalen, was dann der nächste Schritt ist…

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Florian Tomaszewski

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