MAX

MAX, das war immer das Magazin für Popkultur und Style. Darunter hat es das Magazin aus dem Hause Burda traditionell nie gemacht. Und Tradition hat es auch: Wacker hielt es sich bis zu einer Einstellung 2008 immerhin siebzehn Jahre lang.

2011 dann ein Lebenszeichen, ein One Shot, eine einmalige Ausgabe also. Davon abgesehen war die Marke MAX indes nie richtig weg, in Städteführern etwa lebte sie weiter. Und nun, 2012? So eine Art Jahresheft, um das Andenken an den Lifestyle-Guide der Neunziger warmzuhalten, wie er in jedem Café, Friseur-Salon und sämtlichen Tageskneipen in den damals auslag.


Was in der Großstadt so abgeht, war immer Thema Nummer Eins für Max. Nun hat sich das Ganze auf eine einzige Ausgabe per Annum verdichtet und um den Anspruch erweitert, uns die Gegenwart zu erklären und warum sie sich so super anfühlt – in 55 Gründen (plus 15 weitere, warum Berlin halt obergeil ist). Beachparties in Brasilien gehören dazu, Schauspieler, Gwen Stefani und Fleisch essen. Und am Ende, nach vielen Produktplatzierungen, ulkigerweise der letzte Grund des Heftes: dass man sich auch mal verweigern kann.


Sicher, Til Schweiger kommt in einem Interview zu Wort. Und klar, es gibt viele Kaufempfehlungen im Heft, von Kopfhörern bis Kameradrohnen. Doch das Heft ist schön bunt, gleichzeitig in klarer Struktur gehalten. Die Bilder sind großformatig, aber meistens gar nicht schlecht. Überhaupt scheint alles “Größer, wichtiger und mit mehr Erfahrung” zu schreien. Man wünscht sich ein bisschen die MAX zurück – also so richtig. Mehr noch, wenn man sich ansieht, welche Magazine jene Nische im Moment so besetzt halten. Übrigens: Die Idee mit den Gründen scheint direkt von TEMPO geklaut, die in einem (einmaligen) Sonderheft 2006 die Lage kommentierten – in 33 “Wahrheiten”.

Warum soll ich das lesen?
Grund 38: “Weniger ist mehr. Und nichts ist manchmal alles.”

Risiken und Nebenwirkungen
Vieles aus diesem Heft kann man kaufen. Das kann schnell an die Substanz gehen. Dann endest du wie Berlin (die letzten 45 Seiten): arm, aber kreativ.

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Sven Job

Provocateur

Geil, ein Magazin für Männer. Denn “Was Männer bewegt” wussten wir bis jetzt auch nicht so recht, jetzt ist der Markt um ein relevantes Magazin reicher: Provocateur.

Klingt provokant? Oder nur doof? Das kann im Endeffekt nur der liebe Pressegott entscheiden. Vielleicht übernimmt diesen Job auch die männliche Zielgruppe, die sich in unseren unsteten Zeiten von Gleichberechtigung und Gender-Bending auch mal wieder als Entscheidungsträger fühlen darf, soll, muss. Meth Media, der Verlag der seit Frühjahr dieses 200 Seiten starke Heft herausgibt, hat sich jedenfalls die Frage gestellt: Wissen wir, was Männer bewegt?

Also Männer wollen: Homestories über Fußballer. Artikel über Le Mans und Designer-Sessel. Sie wollen endlich wissen, wie man eine Krawatte bindet. Wohin die Route 66 führt. Wo man das beste Bier in Saarbrücken trinken kann (Manuel Andrack hat die Antwort). Welche die Boom-Märkte der Zukunft sind. Eine Übersicht über die schönsten Sportler-Frauen, bitte. Und immer, an vielen Stellen im Heft: Uhren, Uhren, Uhren. Die ersten 16 Seiten des Magazins, durch die man sich bis zum Editorial durchzukämpfen hat, sprechen eine klare, chronometrische Sprache.

Das alles ist ein bisschen unfair, denn viele dieser Beispiele machen gar nicht so viel Inhalt  im aktuellen, dritten Provocateur aus. Männer sind ja schließlich eine schillernde Leserschaft, die alles will, wie schon das Inhaltsverzeichnis verrät: Kultur, Genuss, Wirtschaft, Stil, Sport, Technik. Aber auch alle obligatorischen Elemente jedes modernen Männermagazins sind dabei: ein bisschen Mode, Gadgets aus dem Internet, Text-Häppchen zu Film und Fitness und Politik und Reise und Design. Aber gibt es nicht schon GQ,  FHM, Cinema, Playboy und Men’s Health?

Immerhin ist Provocateur ein schönes Beispiel dafür, wie sich ein Magazin finanzieren lässt: 21 Anzeigen für Armbanduhren sind drin sowie zwei redaktionelle Features, die zu den schönen Uhren gleich die Preise schreiben und damit auch gut in einen Fachkatalog passen würden. Davon abgesehen sind die Zeitmesser überall: Ob in einem Artikel über Auktionen oder ein Autorennen für Oldtimer. Und Fußballer Lionel Messi hält für ein Interview seine Armbanduhr schön sichtbar in die Kamera. Das ist Verquickung von redaktionellem Inhalt und Werbung auf höchstem Niveau. Und so schön sichtbar.

Warum soll ich das lesen?
Ein Männermagazin und kaum nackte Frauen drin: Das ist tatsächlich provokativ. Und, pardon, nochmal der Hinweis: Nach der Lektüre weiß man gründlich Bescheid über Armbanduhren.

Risiken und Nebenwirkungen
Wissen wir nicht, Zielgruppe. Lies das Editorial in der aktuellen Ausgabe, der Chefredakteur wird es euch schon sagen.

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Sven Job

Terra Mater

Was tun, wenn man bereits einen TV-Sender sein Eigen nennt, eine weltweit tätige Talentschmiede für Nachwuchsmusiker leitet und einen Formel-1–Rennstall besitzt? Hinzu kommt das Sponsoring für ein halbes Dutzend Sportvereine und sämtliche Veranstaltungen im Extrem- und Funsport-Sektor. Der österreichische Getränkegigant Red Bull sah sich mit dieser Frage konfrontiert und hat mit Terra Mater schließlich ein eigenes Natur- und Wissensmagazin aus der Taufe gebhoben. Irgendwo muss das Geld ja hin.

Bildungsbürgertum im Exotikrausch

Terra Mater basiert auf der gleichnamigen Film- und Dokumentationsreihe, die seit 2011 über den hauseigenen Fernsehsender Servus TV ausgestrahlt wird. Das Magazin kommt so opulent daher, wie bei einem solch betuchten Background auch zu erwarten ist: hochwertiges Papier, riesiges Format und fast 200 Seiten stark. Also ein bisschen wie Geo in HD. Die Reportagen und Fotoserien sind natürlich aufwendig produziert und erfüllen die hohen Ansprüche eines Bildungsbürgertums im Exotikrausch. Trotz seiner modernen Aufmachung vermittelt Terra Mater das wohlige Gefühl abenteuerlicher Zeiten, als die Landkarten noch weiße Flecken hatten und Londoner Gentlemen auszogen, diese zu füllen, um mit erstaunlichen Berichten und faulem Zahnfleisch wieder heimzukehren.

Neben der aktuellen Flut an betont unaufdringlichen Regionalmagazinen tut die Protzigkeit und Verschwendungssucht von Terra Mater irgendwie auch gut. Endlich wieder ein Heft, das auf Notenpapier gedruckt scheint. Nehmt das, Indies!

Warum soll ich das lesen?
Red Bull braucht dein Geld….

Risiken und Nebenwirkungen
…nicht!

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Florian Tomaszewski

Freio

Almanach, auch schon wieder so ein schönes Wort. Irgendwie klingt es so weise und altertümlich. Nach etwas, das Großvater mit schweren Schritten vom Dachboden holt, von Staub befreit und dem Enkel mit zitternden Händen entgegenreicht. “Hier mein Junge, der Almanach.” Und der Junge wird wissen: Er hält Kostbares in den Händen.

Freio wird vom gleichnamigen Verlag als Almanach beschrieben, macht jedoch keineswegs einen verstaubten Eindruck. Von einer Kölner Autorengruppe um Barbara Räderscheidt und Marie-Luise Wolff erstellt, widmet sich jede Ausgabe, Freio erscheint jährlich, einem Motto. In der aktuellen Ausgabe ist das Leitthema “Kein Wunder”.  Skizzenhafte Alltagsbeobachtungen stehen neben Gedichten und ausführlichen Erzählungen. Die Texte sind dabei mehr Literatur als Reportage, manch eine Geschichte wirkt wie aus einer großen Erzählung gerissen.

Wunder findet man in dem abgedruckten Funkspruch der US-Airways-Maschine, die 2009 im Hudson River notlanden musste, ebenso wie in Texten über Wallfahrten und Klosterbrände. Eine kluge Bildauswahl rundet den positiven Eindruck ab.

Im praktischen Kleinformat kommt Freio daher, mehr Taschenbuch als Magazin. Auf über 100 Seiten entführt es in eine Wunderwelt, die geistreiche Geschichten in den Mittelpunkt stellt. Und auch du, verehrter Leser, wirst wissen: Du hältst Kostbares in den Händen.

Warum soll ich das lesen?
Du willst unbedingt an Wunder glauben. Freio hilft dir dabei.

Risiken und Nebenwirkungen
Das wundersame Licht, in das du schaust, will Führerschein und Fahrzeugpapiere sehen.

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Florian Tomaszewski

Der Wedding

Es ist ja jetzt schon häufiger vorgekommen, dass wir ein Heft besprechen, dessen Existenz wir Berlin zu verdanken haben. Dafür gibt es viele Gründe: Die deutsche Hauptstadt ist die Kreativen-Metropole des Landes und groß genug, den Boden für eine vielfältige und vibrante Magazinmacher-Szene zu bereiten. Vor allen Dingen ist Berlin billig: Sich mit diversen Projekten über Wasser zu halten ist Lebensentwurf. “Arm, aber sexy” lässt sich als Glamour verkaufen; am Ende des Tages springt dabei auch so ein Heft wie Der Wedding  heraus. Und das Schönste daran: Der Wedding bietet Substanz. Als “Magazin für Alltagskultur” ist es ein Heft voll kluger Reportagen, verschwenderischer Fotostrecken und einer schlicht bildhübschen Aufmachung. Hierdurch liegt der Vergleich mit DUMMY (die woher kommt?) nahe – mit dem Unterschied, dass Der Wedding nur einmal pro Jahr erscheint, und nicht alle drei Monate.


Was die beiden Magazine verbindet, ist die Bearbeitung eines Themas. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem Oberbegriff “Westen”. Ein schönes Stichwort, für ein Heft, das im namensgebenden Bezirk seinen Anfang nimmt, um in Fotoessays und Reportagen, schnell den Blick weiter zu fassen: auf die Menschen und ihre Schicksale, auf das Berlin von gestern und heute. Schließlich erzählt Der Wedding nebenbei auch die Geschichte Deutschlands. Das macht es so wertvoll, weit über Berlin hinaus.


Einziger Querschläger ist die Doppelseite, in der sich sechs Lokalheroen des Poetry Slams die Zukunft ausmalen. Diese Texte bilden die Ausnahme in einem Heft, das ansonsten sehr lesenswert den Berliner Kiezglamour neben die unprätentiöse Reportage stellt. Wenn sich das kleine Menschenschicksal und die große Bürgerschnauze die Klinke in die Hand geben, ist Erkenntnisgewinn garantiert. Berlin sei Dank.

Warum soll ich das lesen?
Du lernst, wie Shoppingcenter aufgebaut sind, wie das im Osten mit Karl May war, und dass es in Berlin noch einen Schifferpfarrer gibt.

Risiken und Nebenwirkungen
Damit beeindruckst du in Berlin niemanden. Niemanden!

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Sven Job

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