Stadtaspekte

Wo leben wir hier eigentlich? Und wie? Das sind fundamentale Gedanken, denen sich dieses Magazin stellt. Dabei einen Blick um die Ecke zu riskieren, kann nicht schaden.

Stadtaspekte zeigt die anderen Seiten des urbanen Lebens, die sich einem offenbaren, ohne das dafür ein Architekturstudium nötig ist. Die Schnittmenge potentieller Leser ist daher erfreulich hoch, und diese Leser wünschen wir dem Magazin über “die dritte Seite der Stadt” auch.

Lifestyle, Hobbys, Gesellschaft, Kunst: Irgendwie steht dabei immer das Leben selbst im Mittelpunkt. Das ist genauso bei einem Heft, das sich Stadtplanung und Stadtwohnen, Zusammenleben und Raumgestaltung in der öffentlichen Sphäre widmet. Auf den knapp 140 Seiten werden dabei alle Sinne angesprochen: Wie riecht meine Stadt? Wie sieht, wirkt, fühlt sie sich an? Wie bewege ich mich durch meinen Wohnort hindurch, von A nach B? Vor allen Dingen aber – wie ist es anderswo? Denn auch wenn Stadtaspekte mit einem Feature über die Neuköllner Sonnenallee, über Pieces of Berlin und Flaggen, die aus Wohnfenstern hängen (die Flaggen verstehen heißt die Stadt verstehen) einen spürbaren Einschlag in den Berliner Lokalkolorit nimmt, denkt das Heft global. Shopping-Tipps gibt es dafür keine – wer die sucht, kann ja zu einem der Stadtmagazine greifen. Die gibt es ja wie Sand am Meer, pardon, wie Hipster-Cafés in Berlin.

Stattdessen: Eine kritische Betrachtung des Karlsplatzes in Wien. Eine chaotische Busfahrt durch Tiflis. Mit Pendlerinnen durch Mumbai und auf dem Bike durch das verfallende und geisterhafte Detroit. Ob Totentanz oder Kaffeekränzchen, grau in grau oder bunte Kunstfläche – die Stadt ist das, was wir daraus machen. Eine vielversprechende Aussage, die das erste erste Heft von Stadtaspekte da trifft.


Interessanter fast als der Inhalt sind die Umstände, die zur Erstausgabe geführt haben: Das Magazin ist via Crowdfunding realisiert worden. Erstaunlicherweise waren schon 5000 Euro und 350 Unterstützer genug, um grünes Licht für die Erstausgabe zu geben. Und auch der Content wird demokratisiert; die Initiatoren um Herausgeber Jürgen Cyranek riefen im vergangenen Sommer im Web dazu auf, mit Ideen, Geschichten und Engagement das Projekt mitzugestalten. Über 150 Einsendungen sammelte das Team. Daraus ist die Debütausgabe entstanden.

Warum soll ich das lesen?
Die Texte blicken weit. Vom Bordstein bis zur Skyline. Und zurück.

Risiken und Nebenwirkungen
Erst findest du es schön, dass es in deinem Viertel sauberer wird. Und du hältst das bisschen Street Art in deiner Kreisstadt für das Nonplusultra. Dann liest du darüber, was es anderswo für öffentliche Straßenkunst gibt, und dein Lebensort ist plötzlich gar nicht mehr so toll (und außerdem gentrifiziert). Es eröffnet sich die bange Frage: Kann ich zu viel über das urbane Leben wissen?

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Sven Job

Das Buch als Magazin

Es gibt Magazine, die rein äußerlich kaum von einem Buch zu unterscheiden sind. Das etwas künstliche Wort “Bookzine” versucht diese Verschmelzung auf einen Begriff zu bringen, meist aber eben nur in Bezug auf Format und Haptik. Mit einer inhaltlichen Verflechtung von Literatur und Journalismus befasst sich nun Das Buch als Magazin aus dem Malus Verlag. Ein so präziser wie genialer Titel. In seiner ersten Ausgabe nimmt sich das Münchener Magazin Franz Kafkas Erzählung “Die Verwandlung” vor, die schon 1915 zuerst in einer Zeitung abgedruckt wurde. Auf gewisse Weise schließt sich hier also der Kreis.

Wie wird das ehrenhafte Vorhaben, Literaturgeschichte in ein Magazinformat zu pressen, denn nun umgesetzt? Ganz naheliegend: Erst einmal wird der Originaltext abgedruckt. Visuell aufgepeppt und ergänzt wird er Inhalt durch eine Bilderstrecke, biografische Informationen und Fun-Facts am Textrand. Die ersten 55 Seiten gehören ganz dir, Franz.

Daran schließt der journalistische Teil des Heftes an, in Form von aktuellen Reportagen, die mal mehr und mal weniger deutlich auf “Die Verwandlung” Bezug nehmen. So erzählt eine Autorin von ihrer Unfähigkeit, nach diversen Schicksalsschlägen die Wohnung zu verlassen. Genau wie für den Protagonisten Gregor Samsa aus Kafkas Text wird das eigene Heim zur Isolationszelle. Ein anderer Bericht nimmt Bezug auf die wirtschaftliche Verantwortung, die Samsa für seine Familie trägt und schildert den Geldtransfer vieler Migranten in ihre Herkunftsländer. Auf diese Weise greift jeder Beitrag einen bestimmten Aspekt der Erzählung auf und die Fusion von Journalismus und Literatur gelingt tatsächlich.

Das Buch als Magazin ist eine Publikation mit einer starken Idee und einer ebenso starken Umsetzung. Hochwertiges Papier und eine liebevolle Gestaltung runden den positiven Eindruck ab. Die Möglichkeiten für weitere Ausgaben scheinen riesig, schließlich bieten sich unzählige Literaturklassiker für eine längst fällige Entstaubung an. Im Herbst soll mit Georg Büchners “Woyzeck” die zweite Ausgabe folgen.

Warum soll ich das lesen?
Im Deutsch-Leistungskurs immer eingeschlafen? Hier ist deine Chance, Verpasstes nachzuholen.

Risiken und Nebenwirkungen
Du verlierst dich in Kafkas pessimistischer Welt. Diesen Sommer hattest du dir irgendwie anders vorgestellt…

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Florian Tomaszewski

Die Nadel

Die Nadel ist ein durch und durch akademisches Magazin, das an der Universität Lüneburg als ein gemeinsames Projekt von Kunststudenten und Kulturwissenschaftlern entstanden ist. Das Ziel ist, wissenschaftliche Texte, die sonst nur der Dozent oder Professor zu lesen bekommt, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und eine “intentionale Veröffentlichungspraxis einzuüben”. Die Texte werden vor Abdruck einer entsprechenden Überarbeitung unterzogen. Das Heft erscheint zwei Mal im Jahr und legt mit jeder Ausgabe einen Themenschwerpunkt fest, an dem sich Textbeiträge und Gestaltung orientieren. Gegenstand der ersten Ausgabe ist die Kritik, genauer die Kunstkritik.

Den Texten, die Überschriften wie “Geäußerte Kunstkritik der Gegenwart: Das politische Potenzial einer ‘relationalen Ästhetik’” tragen, merkt man ihren akademischen Ursprung an. Größtenteils sind sie recht kompliziert geschrieben und die dazugehörigen Quellenangaben erstrecken sich über mehr als eine Seite. Das spricht bestimmt für ihre wissenschaftliche Qualität, aber gegen beiläufiges oder entspannendes Lesen. Hier ist volle Konzentration gefordert, einen anderen Anspruch dürften die Macher auch nicht haben. Die Nadel ist nichts für das Strandtuch oder den Feierabend im Regionalexpress, selbst wenn das Magazin im wunderbar handlichen Format daherkommt.

Gestalterisch wirkt das Heft sehr reduziert und nur wenige Fotos durchbrechen den Textfluss. Heraussticht die Bildserie “Was ist die Falte und was verbirgt sie” von Kerstin Achtermann gen. Brandt, mit der das einzige Mal auf eine farbliche Darstellung zurückgegriffen wird. Ansonsten lässt die Die Nadel sich durch nichts vom streng akademischen Weg abbringen.

Warum soll ich das lesen?
Vielleicht läuft dein InTouch-Abo ja bald aus und du suchst neue intellektuelle Herausforderungen.

Risiken und Nebenwirkungen
Die Lektüre versetzt dich in deine eigene Studienzeit zurück. Dann fällt dir ein, dass du nie studiert hast: Sämtliche Szenen vor deinem geistigen Auge entstammen dem Film “American Pie 2″.

 > Die Nadel online


Florian Tomaszewski

strassenfeger


“Zeig mir dein Obdachlosenmagazin und ich sage dir, was für eine Stadt du bist.”

Arm und sexy, das ist Berlin. So kann eine Rezension über ein Obdachlosenmagazin eigentlich nicht beginnen. Ich versuche es trotzdem.

Urlaub, rumkommen, die Seele baumeln lassen: Mit dem klassischen und immergrünen Thema “Fernweh” macht strassenfeger seine zweite Ausgabe des neuen Jahres auf. Ferne Straßen, die in die ganze Welt hinauszeigen kontrastieren mit der Banderole, die auf den Servicecharakter einer “Sozialen Straßenzeitung” (Eigenbezeichnung) hinweist: “Mit Hartz-IV-Ratgeber!” Der Titel selbst ist so New Age – der sticht definitiv ins Auge. Jetzt muss der Inhalt einlösen, was Seite 1 grell verspricht.

Ein Reiseheft der unkonventionellen Art: Manuela schreibt über Neuseeland, Andreas greift die grenzenlose Weite des Covers auf, ihn zieht es zu den Sternen. Alle Aspekt einer Reise werden der Analyse unterzogen: Auch digital kann man reisen und dabei zuhause sitzen bleiben. Und dass das sowieso alles Quatsch ist, erklärt Manfred – die elende Herumreiserei führt zu öden Dia-Abenden, ist gefährlich und ungesund. Recht hat er. Auch schöne Meinungsstücke landen in strassenfeger. Polemik, Wissenschaft und Geschichte (die Erfindung des Reisepasses, der Kolonialismus) – alles drin. Das Heft blickt weit nach draußen, über Berliner Grenzen hinaus. Eigentlich schade, wollte ich doch die Befindlichkeit dieser Metropole, über die auch sonst so viel geschrieben wird, anhand dieser Straßenzeitung ergründen; der klassische Vorführeffekt.

So ein Magazin ist immer auch für seine Klientel gedacht: Menschen “am Rande der Gesellschaft”. Darum der Ratgeber, darum der Abriss der letzten Weihnachtsfeier mit Frank Zander, zu der der beliebte Sänger wie jedes Jahr 2800 Obdachlose und bedürftige Menschen geladen hatte. Autorin Püppilotta rechnet mit Gästen ab, die dort abgegriffen haben, was sie nur tragen konnten. Es war ein tolles Fest, aber Egoisten gibt es eben überall.

Vielleicht ist es ja so: Der Berliner gibt sich mit nicht weniger als der Welt zufrieden. Und er ist partybewusst, immer: Auf den Veranstaltungsseiten des strassenfeger, frisch von der Straße, wird auch eine Party im Berghain angekündigt. Dit is Berlin, Alter.

> strassenfeger online
> International Network of Street Papers

Sven Job

form

Design-Magazine gibt es viele, form ist eins mit Geschichte. 1957 als “Internationale Revue” gegründet und 1962 als “Zeitschrift für Gestaltung” mit neuen Schwerpunkten versehen. Der Schweizer Birkhäuser Verlag übernahm 2002 das Magazin, musste 2012 jedoch Insolvenz anmelden. form fand neue Eigentümer und kehrte nach Frankfurt zurück.

form ist heute wohl die prägendste Design-Fachzeitschrift auf dem Markt und erscheint sechs mal im Jahr. Die Themen des Magazins reichen von Möbel- und Produktdesign bis zu Grafik- und Kommunikationsdesign, die Texte werden in deutscher und englischer Sprache publiziert. Jede Ausgabe widmet sich einem Leitgedanken, wie etwa die letzten beiden Ausgaben mit “Hospitality – Das Geschäft mit dem Gast” und ”Erneuerbare Tradition”. Dabei werden nicht nur die Ergebnisse der kreativen Arbeit präsentiert, sondern auch der Prozess, der dorthin führt. Nicht umsonst lautet der jetzige Untertitel “The Making of Design”. form ist aber auch der leicht nostalgische Kult um Eleganz und Schönheit. Das Heft wirkt dann wie aus einer anderen Epoche und man sucht gelegentlich die Asche von Don Drapers Zigaretten zwischen den Seiten.

Eine wahre Schatztruhe für Designer und alle anderen Interessierten dürfte das Online-Archiv des Magazins sein. Hier lassen sich alle Ausgaben von 1957 bis 2007 in Gänze anschauen. Durch die Suchfunktion lässt sich das Archiv zusätzlich nach einzelnen Produkten durchforsten. Wie sahen Tische in den 70ern aus? Welche Entwicklung hat das Design von Fernsehgeräten durchlaufen? Eine historische Reise durch die dingliche Welt. Tatsächlich ist in form kaum ein Mensch abgedruckt.

Warum soll ich das lesen?
form ist erotische Literatur für Designer.

Risiken und Nebenwirkung
Diese Erotik erschließt sich dir nicht ganz. Design endet für dich auf den Fingernägeln.

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Florian Tomaszewski

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