Tierstudien

Wer früher mit Begeisterung Ein Herz für Tiere verschlang und sein Zimmer mit Bildern von possierlichen Kaninchen oder dem Klassiker “Delfin im Sonnenuntergang” tapeziert hatte, drückte damit eine tiefe Liebe zu allem Animalischen aus. Die Boygroups und Playmates kamen erst später. Der zwischenmenschlichen Beziehung geht anscheinend stets die Liebe zum Tier voraus. Bei einigen scheint diese Phase nie zu Ende zu gehen – irgendwann schnarcht dann der Rottweiler im Ehebett. Diesem Phänomen der Tierliebe geht auch die dritte und neueste Ausgabe der Tierstudien auf den Grund.

Das zwei Mal jährlich erscheinende Magazin wird von Jessica Ullrich und Friedrich Weltzien im Neofelis Verlag heurausgegeben. Jede Ausgabe widmet sich einem speziellen Thema des facettenreichen Verhältnisses von Mensch und Tier. Aufgearbeitet wird es durch diverse wissenschaftliche und künstlerische Beiträge und dabei in einen kulturellen und historischen Kontext gesetzt. Im aktuellen Heft etwa liest der Leser über “Literarische Dokumente der Tierliebe im Mittelalter” aber auch über die “Möglichkeiten und Grenzen speziesüberschreitender Emotionalität” zwischen Mensch und Pferd. In ihrer extremen Form (“Gegen die Natur”) wird die vermeintliche Tierliebe ebenso berücksichtigt und erörtert. Die Texte selbst sind fachwissenschaftlich verfasst, Fotos gibt es nur wenige. Tierstudien erscheint dafür im handlichen Format und lässt sich bequem unterwegs lesen. Vielleicht ja beim Gassi gehen mit Waldi.

Warum soll ich das lesen?
Tiere finden viel zu selten den Weg in gute Magazine.

Risiken und Nebenwirkungen
Du suchst die Bilder der erwähnten “possierlichen Kaninchen”, findest aber nur das Foto eines russichen Künstlers, dessen Kopf in der Vagina einer Kuh verschwindet.

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Florian Tomaszewski

Compact Magazin

Was haben eine Gasmaske, der Davidstern und ein Vampir gemeinsam auf einem Titel verloren?

Früher war “Stammtisch”, heute bevölkert der “Wutbürger” Baustellen und Internetforen. Von den Leitmedien fühlt er sich nicht verstanden, nicht repräsentiert oder informiert – einfach mal einen Blick ins Diskussionsforum von Spiegel Online riskieren. Es grummelt der Volkszorn. Wenn die Etablierten alle korrumpiert sind, wer spricht dann für den kleinen Mann, die Andersdenkenden, die Skeptischen? Wer denkt out of the box?

Compact does. Und ist dabei nicht zornig – Compact weiß einfach alles besser, eigentlich: am allerbesten. Deutschland raus aus dem Euro und der Union! Nehmt Netanjahu die Spielzeugpistole weg! Madonna soll die Klappe halten und nicht mit ihren Pseudo-Skandalen auf die Nerven gehen! Ich halte ein Heft in der Hand, das sich endlich wieder Meinung traut und nicht klein bei gibt. Nie. Nie!

“Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!”

Ein fantastisches Magazin, das die Gebrüder Grimm ganz schön alt aussehen lässt. Aber halt, vielleicht meinen es die blutverschmierten Beißer auf dem Cover echt ernst. Ich betrete eine Welt, die außerdem nicht wenig mit dem “Herr der Ringe” gemeinsam hat – der Ring, sie alle zu binden, ist hier der Euro. Die bösen Mächte, es gibt sie überall, sie operieren im Verborgenen, aber auch unverschämt öffentlich (“Merkt das denn keiner? Sind denn alle verrückt geworden?” ruft es aus den Seiten). Es sind Vampire (“Der Zins saugt uns alle aus!”) und Kriegstreiber (“Der Irre von Tel Aviv”) und westliche Propagandisten (“Weißrussland ist kein Schurkenstaat, sondern ein freundliches Land!”), die unsere Welt auf den Kopf gestellt haben. Bis es uns vorkommt, als hätten außerirdische Kräfte schon längst die Kontrolle übernommen. Schreibt Chefredakteur Jürgen Elsässer selbst im Vorwort. Vielleicht hat er keinen Witz gemacht.

Warum soll ich das lesen?
Im Internet irrst du von Theorien zu Meinungen zu Halbwahrheiten und Allgemeinplätzen. Wenn du es gemütlicher magst, greifst du zu Compact: das Magazin für alle, die ihr Smartphone aus dem Fenster geworfen haben und deren Laptop der Hund gefressen hat.

Risiken und Nebenwirkungen
Compact ist nur der Einstieg. Dann folgen “Galileo Mystery”, die Mitgliedschaft bei den Rosenkreuzern und politisches Engagement.

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Sven Job

Animæ

Animæ erreichte uns im bitterkalten Berlin als Rohrpost. Das auf Zeitungspapier gedruckte Zine fand seinen Weg aus Schweden, wo die Redaktion (nebst London) sitzt. Was sich so schnell liest, hat in Wirklichkeit viele Wochen gedauert, Rohrpost und analoger Vertriebsweg sind mit Tücken gepflastert. Trotzdem sind die 32 Seiten, die den Titel “I Miss You So Much Right Now” tragen, ein kleines Plädoyer für Print.


Das von der Fotografin Lena Modigh initiierte Zine ist der eigenen Angabe zufolge “a three-way conversation about sex, obsession and sanity between three female artists”. Lena, Lucie und Kristina wählen eigenen Weg, Einblick in ihre Innenwelt zu gewähren. Und weil beim Unaussprechlichen – Liebe und Obsession – Bilder manchmal mehr als tausend Worte sagen, sind in Animæ vor allem Fotografien zu finden. Und ein langer Liebesbrief, den die Autorin Kristina Sigunsdotter vielleicht als Teenager geschrieben hat. Eine zarte Angelegenheit.

Warum soll ich das lesen?
Warum also ist Animæ ein Plädoyer für Print? Die Papier-Seiten machen sich gut an den Wänden jedes Jugendzimmers. Das Mini-Poster, auf dem “Pussy” steht, auch. Die jungen Leute sind heute doch so cool, oder?

Risiken und Nebenwirkungen
Animæ ist nur wenige Seiten dick, kommt aber nicht auf den Punkt. Wunderschön. Lass die Gedanken schweifen. Aber nicht zu lange.

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Sven Job

Hohe Luft

“In höchsten Höhen” und abseits davon – das platte Land. Aus der Hansestadt Hamburg kommt nun seit bereits über einem Jahr der Versuch, eine nichtakademische Philosophie-Zeitschrift herauszugeben: “Für alle, die Lust am Lesen und Denken haben.” Aus luftiger Höhe können Themen, die bewegen, neu gedacht werden und so einen anderen Sinn ergeben.

Einen philosophischen Blickwinkel strebt Hohe Luft an, bei dem also “anders” gedacht wird. Gestreift werden aktuelle und bewegende Themen aus Gesellschaft und Kultur, Politik und Wirtschaft, aber natürlich auch Philosophie. Ebenso versucht das Heft auch bei der Gestaltung einen eigenen Weg zu gehen: Wenn das beinahe zeitgleich gestartete Philosophie Magazin den Frontalunterricht bietet, ist Hohe Luft so etwas wie das Kursbuch. Die Geschichte der Philosophie wird etwa nicht nur dar-, sondern ihr auch lebhaft nachgestellt: Etwa wenn in einer Szene Jean-Jacques Rousseau und David Hume in einer grotesken Szene aufeinanderprallen.


“Philosophie ist eine Bewegung, mit deren Hilfe man sich nicht ohne Anstrengung und Zögern, nicht ohne Träume und Illusionen von dem freimacht, was für wahr gilt, und nach anderen Spielregeln sucht. Philosophie ist jene Verschiebung und Transformation der Denkrahmen, die Modifizierung etablierter Werte und all der Arbeit, die gemacht wird, um anders zu denken, um anderes zu machen und anders zu werden als man ist.” (“Der maskierte Philosoph”)

Das Heft ist gut durchdacht; dem Schwerpunkt “Freiheit” wird zuerst mit Illustrationen einer belgischen Künstlerin (ist es ein Gulag, den wir da sehen? Guantánamo Bay ?) Rechnung getragen, dann folgt der Essay, nur um sogleich einen weiteren Text über Verantwortung folgen zu lassen. Auch in der Gestaltung steckt Hintersinn: Fotos und Illustrationen sind an keiner Stelle ohne Grund eingesetzt. Philosophie ist ein Thema, das aber auch ernsthaft vermittelt werden will, Hochglanz gibt es deswegen keinen. Stattdessen verzichtet das Deckblatt bewusst auf Bilder. Das Thema der Ausgabe ist in schlichten Lettern formuliert. Das ist dem Inhalt von Hohe Luft nur würdig.


Warum soll ich das lesen?
In der neuen Ausgabe wird gefragt: “Können wir den Tod überleben?” In lustig-luftiger Höhe lässt es sich wenigstens ganz gut aushalten. Ist doch schon mal was.

Risiken und Nebenwirkungen
Irgendwann werden wir am Posterboy der Philosophie Richard David Precht auch in Hohe Luft nicht vorbeikommen. Dann hält auch in diesem Magazin mit seinen edlen Motiven die Populärwissenschaft Einzug.

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Manuel Niemann

The Germans

“Bitte nicht erwachsen sein!” fordert The Germans in der aktuellen Ausgabe. Könnte so auch in der NEON stehen. Aber das Heft hat erst mal eine Chance verdient.

Denn über Alemannia gibt es genug zu schreiben, seine dunklen Ecken und hellgefluteten Sportarenen. Seine Currybuden und Autobahnen, seine Nazi-Hools und seine Kanzlerin, seine Graffiti und blitzblanken Erholungsflächen. Und Berlin, immer wieder Berlin, denn geschätzte 80 % aller freiberuflichen Journalisten wohnen dort.

Was fällt auf? Das Heft wirkt schmal, ist aber fast 100 Seiten dick. Das liegt an dem dünnen Papier, auf dem es gedruckt ist. Damit erinnert The Germans frappierend an Supplements wie das ZEITmagazin oder NZZ Folio aus der Schweiz. Warum auch nicht; Bureau Mirko Borsche haben auch schon für die ZEIT gearbeitet und sind nun hier für das Layout verantwortlich.

Wenn neue Magazine heute Stadtlust, Meins oder himmelblau heißen, macht ein Titel wie Titel The Germans gleich doppelt Spaß. Noch besser wäre Se Germans gewesen. Hat sich die Berliner Redaktion dann aber nicht getraut.

Was hat sich die Redaktion denn getraut? Das Heft richtet sich an die 18- bis 35-Jährigen, die vielleicht etwas mehr erwarten als – zurück zum Anfang – von der NEON. Also etwa Aufmacher, die mehr versprechen als: “Wie viel Beziehung tut uns gut?” oder “Wie wichtig ist mir Sex?” – in verschwommener Indie-Optik und irgendwie alternativ. The Germans merkt man die Ambitionen an, mehr zu sein. Obwohl es vieles genauso macht wie das Heft von Gruner und Jahr. Ein Plädoyer gegen ein perfektes und durchgeplantes Leben. Ein bisschen Kunst, und noch etwas mehr Lebenshilfe (“Wie treffe ich eine richtige Entscheidung?”). Dafür haben die Macher das Heft in die Kategorien “Meinung”, “Zeitgeist” und “Hintergrund” eingeteilt. Dahinter offenbart sich ein wichtiger Punkt, denn der souveräne Umgang mit dem deutschem Selbstbild ist der Claim, den The Germans in die Welt tragen möchte. Mit deutschen und internationalen Reportagen, selbstreflektierenden Essays und Betrachtungen der bundesdeutschen Befindlichkeiten ist es einen Versuch wert. Denken wir an TEMPO, das jetzt Magazin oder die DUMMY, stellen wir fest – die waren alle sehr gut. Und doch ist es auch noch einen zehnten Versuch wert. Jetzt sind die Deutschen am Zug.

Warum soll ich das lesen?
Schon allein der Schriftsatz lässt dich nostalgisch werden. Die Neunziger waren eine schöne Zeit.

Risiken und Nebenwirkungen
Reportagen wie die über das moderne Russland holen dich schnell in die brutale Gegenwart zurück.

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