Krachkultur

Eines vorweg: das Magazin Krachkultur ist das Gegenteil von Erbauungsliteratur. Es ist kein Reader’s Digest, sondern ein Reader’s Indigestive. Die nun vorliegenden Ausgabe 15 markiert gleichzeitig das 20. Jahr, in dem das Magazin erscheint. Nach wie vor ist Krachkultur dabei Sammelbecken der Outsider-Literatur und Beatnik-Szene. Und das zu Zeiten, als es Outsider–Literatur und Beatnik-Szene gar nicht (mehr) gab.

Ein inhaltlicher Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe ist die “neue Härte in der weiblichen US-Literatur”. Denn es gibt eine Generation junger Schriftstellerinnen, die für Herausgeber Martin Brinkmann nur wenig mit ihren vermeintlichen deutschen Pendants wie Helene Hegemann und Charlotte Roche gemeinsam haben. Deutlich wird das in den fragmentarisch erzählten Gedanken zur Farbe “Blau”, eine Art lyrische Phänomenologie von Maggie Nelson, die mehr als alles andere den Blues sucht. Oder “Arizona” von Elizabeth Ellen, eine Meditation über White Trash und das Erwachsenwerden einer Generation, deren Eltern selbst nie erwachsen geworden sind – und sich dabei ewig im Kreis drehen: So kann sich die Mutter der Teenager-Protagonistin vielleicht Nacht um Nacht freivögeln, aber wenn sie jeden Morgen danach im immergleichen Arizona aufwacht, ist daraus nichts gewonnen. Dann wären da noch die deprimierenden Beobachtungen über das Sterben von Amy Hempel, eine Art “Tod zu Zeiten des Gefällt-Mir-Buttons”. Doch was für einen Film nach dem Tod darf erwarten, wem schon im Leben nur die Sätze aus dem “Unnützes Wissen”-Heft der Neon einfallen?

Krachkultur darf man nicht als lockere Lektüre für zwischendurch verstehen: Vielleicht zieht es einen zuweilen runter, aber dafür ist und bleibt es ein Abbild der Realität. An vielen Stellen scheint die Erkenntnis durch: Es gibt kein Happy End, nicht einmal für die Schönen und Reichen, deren Töchter Namen wie “Star” oder “Fame” tragen, in Lofts wohnen und zum Schönheitschirurgen gehen wie Katholiken zur Beichte – regelmäßig und als Ersatz für die Psychotherapie (Torsten Wohlleben in der Geschichte “Glatt”). Denn das wahre Leben ist keine Soap Opera. Es hat keinen Cliffhanger und kennt nur ein Ende. Bis es soweit ist, wird es von den großen und kleinen Momenten durchbrochen, den Beobachtungen und Stilisierungen dessen, was ist. Und genau diese literarische Ohrfeige verteilt Krachkultur, ästhetisch und gnadenlos.

Warum soll ich das lesen?
“Kunst ist nicht ein Spiegel, sondern ein Hammer.” Hat schon Karl Marx gesagt.

Risiken und Nebenwirkungen
In Krachkultur verpasst Dir die Realität ein paar knallharte Schläge ins Gesicht. Wenn Du Dich traust.

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Ulrich Mathias Gerr