Nächstes Jahr feiert der Augustin, die “erste österreichische Boulevardzeitung”, sein zwanzigjähriges Jubiläum. Nun verbindet man mit Wien, dem Hauptverteilungsort des Augustins, nicht zuerst soziales Elend und Obdachlosigkeit. Wien, das sind Opern und Bälle. Wien, das sind toller Kaffee und Sachertorte. Wien, das ist Jahrmarkt an 365 Tagen im Jahr! Alles leiwand. Und dort heißen die Straßenzeitungen “Boulevard”, das sagt doch schon alles. Aber schon immer galt, wo viel Geld, da auch viel Elend. Und das gilt auch für Europa im Zeitalter der Krise. Krise kommt übrigens vom griechischen “krinein”, was “sich unterscheiden” heißt. Doch wovon unterscheidet sie sich noch, wenn sie permanent da ist?
Der Augustin, der von einem recht großen Team an Sozialarbeitern betreut und von 450 Verkäufer/innen verteilt wird, ist nicht nur aus Mitleid eine lohnenswerte Anschaffung. Klar, das wird für viele der Grund sein, das Heft das erste Mal zu kaufen. Aber die Menschen, mit denen ich in Wien über die Zeitung ins Gespräch gekommen bin, schienen sich auf die zweiwöchentliche Neuerscheinung wirklich zu freuen. Für viele ist der Augustin ein Teil der Stadt. Die Themen und die Sprache sind auch alles andere als banal. Professor Fritz Hausjell vom Publizistik-Institut in Wien nannte ihn einmal das “soziale Gewissen Wiens”. Bestimmt nervt dieses Gewissen die so sehr auf Prunk und Pomp fokussierte Stadt genau so, wie das eigene Gewissen nervt, wenn man abends mal wieder richtig über die Stränge geschlagen hat. Dabei ist es doch das, was einen am Leben hält. Und gerade eine Stadt, die zu einem einzigen Museum zu werden droht, braucht ihren Augustin. Das Leben findet auf den Straßen statt, und nicht vor den goldbesetzten Gustav Klimt-Gemälden.
Warum soll ich das lesen?
Klug und kritisch zugleich muss eine Zeitung erst einmal sein – der Augustin ist beides.
Risiken und Nebenwirkungen
Beim nächsten Mal “Sissi” im Fernsehen wirst Du das verzerrte Bild von Österreich kaum mehr ertragen. Alles wird einem kaputt gemacht.
Ulrich Mathias Gerr