The Weekender

Früher, ach früher, ja schon viel früher hätten wir auf dieses Magazin aufmerksam werden können! Nun ist das kleine wie feine Team um Herausgeber Dirk Mönkemöller und Christian Schneider an der Spitze der Blattmacher angekommen – bei den LeadAwards sind sie als “Newcomermagazin des Jahres” mit Gold ausgezeichnet worden. Ausgabe sechs liegt in unseren Händen, zart und geerdet. Warum also erst jetzt darüber sprechen? Der Gentleman genießt und schweigt. Für die Leserschaft von The Weekender mag das Gleiche gelten. Oder?

Zwischen Wolkendecke und Bücherregal, von Chandigarh bis an den Bodensee

Ein “Magazin für Einblicke und Ausflüge” will The Weekender sein für, das kann man sich denken, das Wochenende. Für Macher, junge Menschen und Junggebliebene. Das Heft aus Köln geht wohltuend entspannt an die Sache Journalismus ran, ist dabei aber nicht beliebig – allein schon, weil sich die Themenbreite dafür zu weit gefächert präsentiert. So ist die Titelgeschichte in der aktuellen Ausgabe eine über einen deutschen Schnapsbrenner und sein Schicksal, das ihn vom hektischen Frankfurt an den friedlichen Bodensee geführt hat; gleichzeitig ist es eine Geschichte von Gin und Obstlikören. Ein Feature stellt ein kleines Geschäft vor, das “bewährte Alltagsgegenstände” anbietet und sich damit bestens ins Kölner In-Viertel Ehrenfeld einfügt. Ein Interview befasst sich mit der “Cloud Appreciation Society”, zeigt in hübschen Bildern die so diversen Erscheinungsformen von Wolken – und erklärt sogleich, warum wir alle öfter den Blick gen Himmel richten sollten. Und weit bodenständiger führt eine Reportage in eine indische Retortenstadt, die einst Architektenlegende Le Corbusier konzipiert hat – mit all ihren Vor- und Nachteilen, die ihre Bewohner heute genießen dürfen. Die Artikel sind umrahmt von eleganten Fotografien in Großformat – stimmig und schön anzusehen.

Damit empfiehlt sich The Weekender als Companion für all jene, die weder Kaufempfehlungen noch Lebensoptimierung in einem Heft suchen – aber irgendwie doch Lifestyle. Lebensstil der alternativen Sorte: Leben auf dem Land, selber kochen, aus alten Dingen schöne Dinge machen, mal wieder ein gutes Buch lesen. The Weekender hilft ein bisschen. Für jene, die wollen. Das Heft liegt gut auf einem Holztisch.

Warum soll ich das lesen?
The Weekender verbindet Arbeit mit Hobbies, Selbstbestimmung mit Entspannung. So wollen wir doch alle leben. Hier ist das Heft dazu.

Risiken und Nebenwirkungen
Du entspannst Dich ein bisschen zu sehr. Das moderne Leben frisst Dich mit Haut und Haaren.

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Sven Job

Jungsheft

Ein Heft voller Schwänze. Lässig aus der Hose hängend oder stolz in die Luft gestreckt wie ein Säbel. Schlüpfer runter und in Siegerpose. Das Jungsheft zeigt nackige Typen von nebenan und muss von Gesetz wegen doch als Pornomagazin bezeichnet werden. “Es gibt eine gesetzliche Regel, die besagt, dass eine Erektion über 45 Grad  harte Pornografie ist”, klärt uns Magazinmacherin Nicole Rüdiger auf. Aha! Haben wir also auch noch was gelernt und kramen gleich mal unser Geodreieck aus der Schublade. Pornografie ist also messbar.

Boy Next Door

Rüdiger bringt das Heft gemeinsam mit Elke Kuhlen seit 2005 heraus und ist mit dem “Pornografie”-Begriff gar nicht glücklich. Schließlich zeige man Erektionen und keine Interaktion. “Eine Bezeichnung wie Ü20-Bravo wäre mir lieber”, so Rüdiger. In der Tat ist das Jungsheft meilenweit von dem entfernt, was sonst so unter dem Label “Porn” im Heftregal oder unter der Ladentheke liegt. Ein entspannter Umgang mit Sexualität bestimmt das Magazin. Statt eines grotesken Photoshop-Kabinetts oder anatomischer Rätsel präsentiert es lieber die Jungs aus Deiner Nachbarschaft. Die Schönheit der Bilder bestimmt kein abstraktes Ideal, der Leser selbst bewirbt sich und produziert auch häufig die abgedruckten Fotos in Eigenregie. “Schön kann jeder sein”, bekräftigt Nicole Rüdiger gegenüber uns den Gedanken hinter dem Jungsheft.

Reportagen, Interviews und einige Shopping-Tipps werten das DIN A5 große Heft zusätzlich auf. Übrigens bringen Rüdiger und Kuhlen neben dem Jungsheft auch das Giddyheft im Selbstverlag heraus. Also ein Magazin voll nackter Mädels. Warum wir nicht lieber das besprechen, fragst Du Dich, lieber (männlicher?) Leser? Weil wir ein Magazin voller Ständer einfach interessanter fanden.

Warum soll ich das lesen?
Weil das Normale immer noch am schönsten ist.

Risiken und Nebenwirkungen
Penisneid oder Größenwahn. Je nachdem…

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Thorsten Bruhn

Geek!

Grade einmal acht Monate ist es her, dass der Heel-Verlag sein Genre-Magazin SpaceView eingestellt hat, da veröffentlicht der Panini-Verlag das nahezu identische Geek!. Die Übernahme der ehemaligen SpaceView-Chefredakteure Markus Rohnde und Claudia Kern ist da nur konsequent. Oder bequem?

“Wusstet ihr, dass…?”

Der bevorstehende Start des Alien-Prequel “Prometheus” ist ein dankbares Thema für die erste Ausgabe eines Science-Fiction-Magazins und so füllt das Thema auch die ersten 30 Seiten des Heftes. Neben einem Interview mit Regisseur Ridley Scott erfährt der Leser alles, was er über das Alien-Universum wissen muss, um mit Fun-Facts beim nächsten DVD-Abend beeindrucken zu können. “Wusstet ihr, dass man für das Alien-Ei die echte innere Magenschleimhaut einer Kuh verwendet hat?” Echtes Geek-Wissen eben.

Neben Filmen arbeitet sich das Magazin an Serien, Comics, Büchern und Games ab und wirkt dabei auch völlig überfrachtet. Auf jeder Seite gibt es mehrere Info-Fenster sowie Fotos in jeglicher Größe und wilder Verteilung. Man sollte dabei wohl berücksichtigen, dass Geek! keine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Nerd-Kultur betreibt, wie es beispielsweise WIRED tut. Die Zielgruppe dürfte eine deutlich jüngere sein, wobei ein Preis von 6,90 € pro Ausgabe doch recht hoch erscheint. Schließlich will auch der achte Kino-Besuch von “Prometheus” bezahlt werden.

Warum soll ich das lesen?
Du hast mal gehört, dass Geeks und Nerds jetzt cool sind. Hier ist Dein Heft!

Risiken und Nebenwirkungen
In Deinem Ort ist das noch nicht angekommen und im Schulbus musst Du alleine sitzen, sobald Du Geek! liest. Grausame Welt!

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Florian Tomaszewski

Reportagen

Als Reporter hat man es heutzutage auch nicht leicht. Die weißen Flecken auf der Landkarte sind schon lange in Pixel umgerechnet und via Internet für jeden einsehbar. Die Sahara, das Amazonas-Becken, die arktische Tundra: Alles nur noch einen Klick entfernt und wer will, kann afrikanischen Dorfbewohnern von zu Hause aus in den Kochtopf zoomen. Wie soll ein Reporter von fremden Welten berichten, wenn dank Wikipedia nichts mehr fremd ist? Das Schweizer Magazin Reportagen zeigt, dass wir zum Glück soweit doch noch nicht sind und gute Reportagen immer noch fesseln können.

Die Bilder in den Köpfen

Von einem “Magazin” zu sprechen ist streng genommen untertrieben, kommt das sechsmal jährlich erscheinende Werk doch fast schon im Taschenbuchformat daher. Der geschmackvolle Leineneinband verstärkt den außergewöhnlichen und edlen Charakter von Reportagen, der bei einem stolzen Preis von 15 Euro pro Exemplar ja auch gestattet sein darf. Das Layout hält sich streng an ein durchgehendes Farbschema, das mit jeder Ausgabe ein anderes ist. Außerdem, und das ist für die Thematik erst einmal ungewöhnlich, kommt das Magazin ohne Fotos aus. Stattdessen werden die Artikel, wenn überhaupt, von Zeichnungen und wunderbar illustrierten Grafiken visuell gestützt. Die Botschaft ist klar: Was zählt, ist der Text. Erst durch das geschriebene Wort entstehen dann die Bilder im Kopf des Lesers. Das funktioniert ganz wunderbar und macht die Lektüre von Reportagen sehr angenehm.

Alles geht, nichts muss

Inhaltlich werden keine Vorgaben zu einem Leitthema gemacht. So wird der Rohstoffbooms Australiens genauso behandelt wie das sehr persönliche Porträt eines italienischen Bäckers, der Jahrzehnte braucht, um endlich glücklich sein zu können. Die Texte bleiben unabhängig, der Reporter ist hier ganz Beobachter und nicht Meinungsmacher. In der “Historischen Reportage” werden schließlich die Altmeister der Zunft geehrt und Arbeiten von Hemingway, Kapuscinski oder Twain abgedruckt. Die Königsklasse des Journalismus hat auf fast 140 Seiten eine Heimat gefunden. Die Welt will weiterhin entdeckt werden.

Warum soll ich das lesen?
Du kannst es noch so oft versuchen, im Internet landest Du doch immer wieder bei den Katzenvideos. Das passiert Dir mit Reportagen nicht.

Risiken und Nebenwirkungen
Das Heft offenbart Deine Wissenslücken: “Bergkarabach liegt also nicht in Österreich?”

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Florian Tomaszewski

Die Welt aus Papier: Die LeadAwards 2012 wurden verliehen

Letzte Woche wurden in den Hamburger Deichtorhallen die LeadAwards verliehen. Sie zählen zu den renommiertesten Medienpreisen des Landes und werden jährlich an Print- und Online-Medien vergeben. Dabei werden Zeitungs- und Heftemacher ausgezeichnet, aber auch Werbetreibende, Fotografen, Illustratoren und Blogger, Covergestalter und die Newcomer unter den Magazinen. Kurz – die Kreativen mit einer starken Betonung der visuellen Komponente. Der Style macht eben auch bei der Presse die Musik. Da kommen wir von Voll auf die Presse ins Spiel – denn was da auf der Liste der Nominierten 2012 steht und stand, interessiert uns brennend – und Euch hoffentlich auch.

Tatsächlich sind bei den potentiellen Preisträgern auch einige dabei, die wir schon unter die Lupe genommen haben; dienacht (nominiert für Architektur- und Still-Life-Fotografie des Jahres), DUMMY (Reportagefotografie) und MUH (Newcomermagazin des Jahres). Dazu weitere große und kleine Geschmacksträger: Titanic, VICE, Spex und Monopol. Ob es zu ähnlichen Skandalen kam wie beim Henri-Nannen-Preis, bei dem die ausgezeichneten SZ-Redakteure ihre Preis nicht ausgerechnet mit der BILD-Zeitung teilen mochten und ihn dann lieber verweigerten? Immerhin ist die BILD auch hier nominiert…

Gewinnen 2012: Die Großen und die Kleinen

Zunächst keine Überraschung: Die bekannten Hasen räumen ab. Dazu gehören das SPIEGEL Magazin und der Stern, außerdem die wöchentlichen Beilagen der größten überregionalen Zeitungen, etwa das SZ-Magazin (ein mal Gold, ein mal Silber). Besonders aber das ZEIT Magazin; Das Supplement zur Wochenzeitung konnte gleich fünf Preise abräumen – speziell in der Reportagefotografie war man erfolgreich.

Interessanter aber der Drive in Richtung Independent-Titel, die auch uns bei Voll auf die Presse besonders am Herzen liegen. Die MUH gewinnt tatsächlich den Silberpreis für das Newcomermagazin. Auch VICE (Bronze LeadMagazin, Gold Porträtfotografie) scheint im publizistischen Mainstream angekommen zu sein – wenigstens bei der Jury, die ihn vertritt. Weitere Hefte, die mal weniger, mal mehr am Rande der Zeitschriftenregale zu finden sind und nun gewürdigt worden sind: das Kunstmagazin Monopol, ZOO (mit einer Fotostrecke von Bryan Adams, der inzwischen die Musik gegen die Kamera eingetauscht hat, wirklich wahr), das Berliner 032c und die geschmackssicheren Fußballer von 11 Freunde.

Überraschend dann der Sieger in der Königsdisziplin “LeadMagazin des Jahres”: Max Joseph, das Heft der Bayerischen Staatsoper. Es transportiere das an sich elitäre Thema “Oper” auf eine verständliche und unterhaltsame Weise, heißt es in der Begründung. Ein Blick auf die kräftigen Titelblätter und das Versprechen auf anspruchsvolle Reportagen wird eine nähere Betrachtung notwendig machen!

Weiter erfreulich: Der fast schon obligatorische Preis für DUMMY (Bronze Reportagefotografie) und ein Achtungserfolg für die Macher von dienacht. Dieses Magazin mit dem Fokus auf anspruchsvoller Fotografie ist nun wirklich ein kleiner Fisch im publizistischen Ozean, jede Ausgabe auf gerade 1000 Exemplare limitiert. Es zeigt sich vielleicht gerade hier, wo die Reise hingeht – die Vielfalt am Kiosk nimmt immer weiter zu, von kleinen und cleveren bis sehr großen und aufwendigen Marktdebüts ist in den kommenden Jahren mit allem zu rechnen. Wir von Voll auf die Presse wollen dem Rechnung tragen und haben für Euch ein Auge auf die Entwicklungen der Zukunft. Spannend!

> Alle Preisträger 2012

Sven Job

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