Zinefest Berlin

Eines vorweg: Bis zu meinem Besuch auf dem Zinefest in Berlin war ich nie mit Zines oder DIY in Berührung gekommen. Ich begab mich also auf absolutes Neuland. Vier Räume im oberen Stockwerk des traditionsreichen Mehringhofs in Berlin-Kreuzberg waren von den Fenster- bis zu den Türrahmen gefüllt mit Besucher_innen, Zinemacher_innen und natürlich Zines: Schwarz-weiße Heftchen, Hefte auf Englisch, Spanisch und auf Deutsch, kopierte getackerte Heftchen, bunte gedruckte und gebundene Heftchen, Prints, Poster, Shirts und, ach, eigentlich alles, was sich bedrucken lässt.

The private is political

Schon die kurzen Blicke in unterschiedliche Zines während des Anstehens verrieten mir: Die Themenvielfalt ist enorm. Neben Comics füllten vor allem Ratgeber die Tische. Von humorvoll aufbereiteten Erfahrungsberichten wie “Dir fallen plötzlich die Haare aus? Hier, lies mein hairless zine!” über kleine kreative Reiseführer für Berlin und andere totbesuchte Städte dieser Welt bis hin zu bitterernsten Anleitungen zum Umgang mit Depressionen, Magersucht und selbstverletzendem Verhalten: Es gab für fast alles ein kleines Handbuch. Zwar sichtbar beeinflusst von offenbar Szene-internen Design- und Themecodes, dennoch aber weit genug weg von der gängigen Photoshop- und Tumblr-Ästhetik sorgen all diese Heftchen dafür, dass Themen, für die in den Mainstream-Medien kein Platz ist, trotzdem rezipiert werden können – gemäß dem Leitmotiv der früheren Frauenbewegung “the private is political”.

Waldsterben und Körperbehaarung

In Erinnerung aber bleiben werden am Ende weniger die vielen unterschiedlichen Heftchen als viel mehr die unterschiedlichen Menschen, mit denen ich gemeinsam nachdenkliche Blicke austauschend vor Fragen wie “Wer definiert, was eine Krankheit ist?” stand und begeistert von der Optik außergewöhnlich aufwendige Druck- und Kopiertechniken bewunderte. Statt schicker Papeterie-Postkarten mit Trendtierpaar “Fuchs” und “Eule” hier und da hätte ich lieber noch das ein oder andere Zine mehr über Waldsterben oder Körperbehaarung auf den Präsentiertischen gesehen. Dann aber hätte ich ganz sicher das Gespräch mit der siebenjährigen Alina verpasst, die mir ausführlich und bunt schilderte, warum der Fuchs ihr Lieblingstier ist. So warte ich auf das nächste Zinefest in Berlin, dann vielleicht mit Alinas erstem Heft.

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Hanna Forys

Alps

“Servus, Grüezi und Hallo”, schallt es aus München. Im Zweimonatsrhythmus wird von hieraus Alps, das Magazin für “Alpine Lebensart”, veröffentlicht. Zwischen Trachten-Chic, Architektur und Käse-Kooperative frönt das Heft einem rustikalen Lebensstil und Heimatliebe in Hochglanzoptik.

Die Reportagen sind durchaus lesenswert und auch die Fotos zeigen Klasse – für Menschen in Berlin, Hamburg oder Köln dürfte dies dennoch ein Einblick in fremde Welten sein. Der Anhänger des alpinen Traditionalismus wird an Alps aber seine Freude haben und den Janker ob stolzgeschwellter Brust an die Grenzen seiner Spannkraft bringen.

Warum soll ich das lesen?
Wer was auf sich hält, lebt rustikal. Sollen die Russen und Proleten sich halt in Dubai und Monaco austoben.

Risiken und Nebenwirkungen
Massive Stadtflucht und Gentrifizierung des Oberallgäus.

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Florian Tomaszewski

Treat

Manchmal haben auch wir menschliche Bedürfnisse und wollen einfach nur wissen, wer mit wem, mit wem grad nicht und, überhaupt, warum denn nicht. Eine riesige Auswahl an People-Magazinen widmet sich wöchentlich der Beantwortung solch dringender Fragen, und gerade als wir drauf und dran waren, bei all den billigen Blättchen die Übersicht zu verlieren, flatterte Treat ins Haus.

Im September von 23 Journalistenschülern aus dem Hause Burda veröffentlicht, will Treat die Lücke zwischen People- und Food-Magazinen schließen. Die Frage “Wer ist was?” wird zu “Wer isst was?”. Eva Padberg kocht dann etwas zu perfekt gestylt Pasta, während Wilson Gonzalez Ochsenknecht einige Seiten weiter Intimes verrät (“Ich kau’ halt laut”).

Aber halt: Plötzlich entdecken wir Interviews mit Tino Hanekamp und dem Audiolith-Act Frittenbude (Frage: “Warum heißt ihr eigentlich Frittenbude?”). Ist Treat vielleicht doch mehr Intro als InTouch?

Warum soll ich das lesen?
Auch Stars haben Hunger und stehen in der Küche? Voll menschlich!

Risken und Nebenwirkungen
So sieht Eva Padberg beim Kochen aus? Ich hol’ mir mal einen Döner…

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Florian Tomaszewski

HATE

“Seit 2000 Jahren lebt die Erde ohne Liebe / Es regiert der Herr des Hasses”

Und es begab sich also zu einer Zeit, da in Berlin echt alles gesagt war, alles getanzt war und man verdammt noch mal schon genug Stunden vor dem Berghain rumgestanden hatte. Und rein kamen dann wieder andere.

HATE befasst sich mit Kunst, Drama, Fotografie, Performance. Und natürlich dem Gefühl, das wir alle kennen; während es die einen umarmen, halten es die anderen dezent auf Abstand – die Abscheu, das Genervt-Sein, der Hass. Aber keine Angst, wie sein Gegenstück Liebe kann auch Hass goutierbar sein. Das Thema der aktuellen Ausgabe ist eigentlich gut gewählt: Natur. Es wird höchste Zeit für den Backlash auf die Naturbegeisterung allerorten: Familienurlaub auf dem Bauernhof und Wohnen auf dem Lande werden schon in genug Magazinen glorifiziert und in schönen Bildern präsentiert. Da ist es angenehm, wenn dem Rückzug ins Biedermeier-Private, dem Raus ins Grün, irgendwas entgegen gesetzt wird. Genug Worte über den Inhalt verloren, jetzt mal zum Magazin selbst.

“Hässlich, ich bin so hässlich, so grässlich hässlich / Ich bin der Hass”

Im 260 Seiten dicken Bookzine finden viele Ideen Platz: Betrachtungen medizinischer Grausamkeiten genauso wie Erklärungen, warum es die Hölle sein kann, ein Mensch zu sein: Entweder ist man immer krank oder immer gesund, zu sehr Individuum oder zu wenig. Dazwischen sind zur Auflockerung Bilderstrecken gedacht, die Kunst und Selbstdarstellung zeigen und verwesende Tiere. Aber ist das alles Hass? Vielleicht ist es die leise Abscheu, die dieses Magazin dann doch zu etwas Einzigartigem macht. Ach und weil sich die besprochene Ausgabe dem Thema “Natur” widmet, finden sich immer wieder Bilder von Pflanzen – sie wirken absolut nutzlos, wuchern in alle Richtungen. Sie wissen nicht, wohin die Reise gehen soll und leben einfach vor sich hin – das ist ihr Verbrechen, gegen das die HATE-Autoren in vorderster Front ankämpfen.

“We do not need any love on this planet!”

Dazu gibt man sich der Idee hin, die Natur abzuschaffen, der Mensch wird imaginiert als das “einzige[s] verbleibende organische Produkt.” Selten ist Naturromantik entschiedener abgelehnt worden. Am Ende dieser Entwicklung bleibt: der individuelle Mensch, frei und selbstbestimmt. Bis es soweit ist, fließt noch viel Hass die Spree herunter.

Warum soll ich das lesen?
Du liest mal wieder “ein gutes Buch”. Und lernst dabei viel über Krüppel, kleine und große Gebrechlichkeiten und Fotoshootings in Berlin.

Risiken und Nebenwirkungen
Du verstehst das mit dem “Hass” falsch. Und liebst nicht mehr deinen Nächsten.

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Sven Job / Songzitate aus DÖF “Codo”

Frankfurter Buchmesse 2012: Die Facts


Hier die knallharten Facts von der Frankfurter Buchmesse:

Martin Suter hat mehr Groupies als Christiano Ronaldo.

Die internationalen Verlage haben in einer eigenen Halle ihre Stände aufgebaut. Wie immer haben die Chinesen den längsten.

E-Book-Stände sind so kalt und steril, wie man sich das Internet von innen vorstellt.

Lady Bitch Ray war da und hat ihr Buch vorgestellt mit dem Titel “Bitchsm. Emanzipation. Integration. Masturbation.” Die Promozettel sind aus abwaschbarem Material.

So lange alles rosa ist, darf ihr Stand auch in der Kinderabteilung stehen.

Kelter, der Schmonzenverlag für eine weibliche Leserschaft (u.a. “Mami”, “Dr. Norden”, “Meine Schuld”), wirft gekonnt alle Gender-Zuschreibungen über den Haufen, indem er zwei Frauen in gelben Bikinis vor seinen Stand stellt. Nebenan wird über die Existenz von Gott diskutiert.

Jakob Augstein verkörpert perfekt die Symbiose aus Expertise, Arroganz und Langeweile.

Die jungen Besucher machen sich inzwischen jedes “Event” zu eigen in ihren bunten Verkleidungen – von hässlich bis sonderlich. Oder: Auch junge Menschen strömen zur Buchmesse. Verkleidet als Chewbacca oder Anime-Babe.

Manche wären vielleicht besser mit einem Buch zuhause geblieben. Pardon, Manga.

Rote Hosen in allen Variationen sind der letzte Schrei.

Bücher sind nicht zum mitnehmen.

Die Redaktion

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