Missy Magazine

Eine EMMA in hip, mit Glitzer und Turbovibratoren? Brauch ich nicht. Bin ich drüber. “We don’t think so. Deshalb Missy” widersprechen die Missy-Macherinnen auf ihrer Facebook-Seite. Mal sehen.

Das Missy Magazine erscheint viermal im Jahr, kostet im Abo schnuckelige 18 Euro und verarztet auf den ersten Blick alle Rubriken, mit der auch eine Brigitte Young Miss zu ihrer Zeit aufmachte und heute vermutlich aufmachen würde: Mode, Musik, Film, Reise, Literatur, Rezepte und Reportagen. Und: Lady Gaga. Als “Hermaphrodit im Fleischkleid das perfekte Symbol für die aktuellen gesellschaftlichen Umbrüche” heißt es in der aktuellen Ausgabe. Aha. Queertheorie? Dekonstruktion? Und es geht weiter: Ein Vulva-Spiegel? Pinkifizierung? Selbstbefriedigung gegen Regelschmerzen? Gut. Vielleicht sind es die gleichen Themen, aber definitiv aus einer anderen Perspektive.

Missy sorgt für Reibung – und das nicht nur untenrum

Der Blickwinkel der Missies ist nicht immer easy. Schnell bekommt frau als Leserin den Eindruck, wer Fleisch isst, in einer monogamen Ehe lebt und Texte nicht gendert, begehe ein Verbrechen an der weiblichen Weltbevölkerung (not pc!). Andererseits hat auch niemand behauptet, dass Feminismus einfach ist. Und wie die Veröffentlichung von teils sehr kritischen Leserinnenbriefen und die Reaktion der Missy-Macherinnen darauf zeigt: Keine Zeile verlässt die Missy-Redaktion, ohne dass vorher ihre mögliche Rezeption diskutiert wurde. Während Zeitschriften wie die Young Miss vornehmlich der Unterhaltung dien(t)en, möchte das Missy Magazine mehr als das sein. Missy sorgt für Reibung – und das nicht nur untenrum. Missy ermöglicht eine öffentliche Diskussion, über Geschlechterverhältnisse in den eben genannten Rubriken oder – anders formuliert – Lebensbereichen. Und was mir besonders wichtig erscheint: Missy hat das Potential, auch Leserinnen aus der A- und B-Jugend anzusprechen.

Missy gibt diesen jungen Frauen zwar keine Erklärungen und Antworten, aber immerhin die Möglichkeit, diese etwas losgelöst vom Mainstream selbst zu entdecken. Hatte ich schon erwähnt, dass das Lesen Spaß macht? Und bei wem diese Argumente nicht ziehen, der/die kann ja immer noch EMMA lesen. Oder den Spiegel.

Was mich angeht: Ich kann ehrlich gesagt auch nach acht Ausgaben immer noch nichts mit den Modestrecken anfangen und inspiziere diese meist in ähnlicher Manier wie IKEA-Montage-Anleitungen: mit verdrehten Augen. Aber hey: who cares? So lange in meiner WG noch genug Platz ist, bin ich ohnehin damit beschäftigt, Becherleuchten, Fahrräder und Hochbeete (nicht Betten!) nach der Mach-Es-Selbst-Anleitung aus den Heften zu bauen. Und da war doch noch was. Achja. Die Regelschmerzen…

Warum soll ich das lesen?
Weil’s Spaß macht! Wem das nicht reicht: Weil hinter den Texten in Missy nicht der übliche männliche Popkulturjournalismus-Klüngel steckt, sondern viele kreative Frauen, die’s drauf haben. Das sollte schon aus Prinzip unterstützt werden.

Risiken und Nebenwirkungen
Häufig (1 bis 10 Leser_innen von 100):
 Du gehst zuerst in deinen nächsten Buchladen und kaufst dir “Das andere Geschlecht” von Simone de Beauvoir und “Gender Trouble” von Judith Butler und eilst dann weiter in den dir vertrauten Musikhandel und kaufst dich durch die in der Missy reviewten Platten.
 Du fängst dann an, nicht nur beim Schreiben, sondern auch beim Reden zu gendern.
Sehr häufig (mehr als 10 Leser_innen von 100): Abhängigkeit. Du schließt ein Abo ab.

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Hanna Forys

der Fritz

Endlich angekommen, ließ ich mich im weichen Gras nieder. Der Wind strich durch die Bäume, Blätterrauschen, eine Libelle flog vorbei und ein Fuchs lugte aus seinem Bau hervor. Plötlzlich tauchte ein Mann auf, in Latzhose und unrasiert, um mir Obst anzubieten. “Selbst angebaut”, gab er schief lächelnd preis und zeigte auf einen kleinen Gemüsegarten, der mir vorher nicht aufgefallen war. Hinter dem Garten war ein Gutshof und aus dem strömten plötzlich scharenweise gutaussehende Menschen, angeführt von einer Polka-Band. Sie schwenkten Gläser mit selbstgebrannten Whiskey. Als Sarah Wiener anfing, mit Gemüse um sich zu werfen, erwachte ich.

Den Kopf noch auf Papier gebettet, wunderte ich mich über den Ursprung dieses herbeigeträumten Zauberlandes. Dann erst betrachtete ich das im Schlaf weichgespeichelte Blatt: der Fritz – Das Magazin für Kultur und Lebensart in Brandenburg. Alles klar!

Warum soll ich das lesen?
Brandenburg: Das Land, in dem Milch und Honig fließen. Rainald Grebe muss sich geirrt haben!

Risken und Nebenwirkungen
Die Verödung von Friedrichshain, denn die Bohème pflanzt jetzt Apfelbäume in der Uckermark.

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Florian Tomaszewski

Hä? Magazin


Im Internet gibt es heute alles zu sehen. Wer ein bisschen stöbert, der findet Dinge, nach denen er nicht mal gesucht hat. Das gilt natürlich auch für Sex. Und alles andere. Beratung und Aufklärung geht darum dieser Tage anders. “Make Love” (Verlag Rogner & Bernhard) ist Teil dieser neuen Welle, ein Buch mit expliziten Abbildungen und unverkrampfter Sprache. Sowohl inhaltlich als formal darf man heute nicht mehr um den heißen Brei reden, um die “Generation Neon” zu erreichen. So die These. Das Titelblatt der dritten Hä? Magazin-Ausgabe scheint da sehr gut reinzupassen. Und der Finger auch.


Das Heft gibt es in den Apotheken der Schweiz, es ist auf lachsfarbenem Altpapier gedruckt. Das gibt ihm einen leicht alternativen Touch. Die abgebildeten Models sehen dementsprechend aus: ein bisschen Indie, ein bisschen H&M - lange Shirts, kurzer Blick. Auf recht clevere Weise haben sich die Macher einen “Look and Feel” abgeschaut, der in Magazinen von skandinavischen Bekleidungsketten bis hin zu britischen Hipster-Bands unsere derzeitigen Jugendstandards durchdekliniert. In den ersten Ausgaben geht es um Schönheitsideale, im dritten um Sex. Da hätte dann eine gewisse Lana Del Rey vielleicht ganz gut reingepasst. Aber Stars fehlen im Heft. Auch schon wieder wunderbar alternativ.

Ach, und übrigens: Der Titel der dritten Ausgabe zeigt Beine, Knie und einen Finger. Schmutzige Phantasie.

Warum soll ich das lesen?
Man kann sich ja mal informieren: Wie geht es “da unten” zu? Also in der Schweiz…

Risiken und Nebenwirkungen
Der Erkenntnisgewinn für den Leser ab 20 hält sich in Grenzen. Oder auch nicht: Über Tattoos kann der Laie in Ausgabe #01 einiges lernen.

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Sven Job

Picture

“Tödlicher Moment – Nur einer auf diesem Foto hat überlebt…” – so marktschreierisch ködert Picture auf dem Titelbild seiner ersten Ausgabe potentielle Leser. Schließlich bedeuten die drei Gedankenpunkte am Satzende aber nichts weiter als: “Finden Sie heraus, wer.”

Picture ist das neue Bilder-Magazin aus dem Bauer Verlag und soll monatlich erschienen. So neu ist die Idee natürlich nicht, schließlich veröffentlicht der Stern mit View seit 2005 ein fast identisches Magazin. Okay, das “fast” kann man streichen, denn eine eigene Handschrift kann Picture nicht aufweisen.

Viele Bilder, wenig Text – und von allem etwas: Politik, Boulevard, Natur und Wissenschaft. Der Blick wird glasig, die Seiten immer fahriger umgeblättert. Nimmt das denn nie ein Ende? Picture vs. Leser: 1:0.

Warum soll ich das lesen?
Lesen? Ich schau mir lieber Bilder an, du Spießer!

Risken und Nebenwirkungen
All die Bilder machen dich so müde und verdrehen dir den Kopf. Schlaf gut, Kleiner!

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Florian Tomaszewski

Philosophie Magazin

Dass die Karambolage deutscher und französischer Traditionslinien in der medialen Vermittlung von Geistesgeschichte nicht nur im Mittagsprogramm bei Arte funktionieren kann, versucht Fabrice Gerschel, Herausgeber des französischen Philosophie Magazine nun auch in Print unter Beweis zu stellen. Zwar beteuert die in Berlin ansässige Redaktion eine eigenständige zu sein, doch finden erfreulicherweise einige Übersetzungen ihren Weg in das deutsche Lizenzprodukt. Erfreulich auch, weil doch die Philosophie in unserem Nachbarland einen ganz anderen Stand hat: Wo ein Intellektueller neben einer Berufung beinahe ein Berufsstand und in gar keinem Fall ein Schimpfwort ist. Wo Fernsehmoderator Raphaël Enthoven bereits zu Tage munter plaudernd durch die Straßen schlendern kann. Und wo es ein Schulfach gibt, das sich philosophischen Themen fachkundiger annähert als dass “Ethik” es hierzulande vermag.

Das Philosophie Magazin betritt denselben Pfad: hin zu einer breiteren Öffentlichkeit, jenseits des professionellen Diskurses. Und trägt damit Rechnung, dass Menschen in schwierigen Zeiten nach neuen, nach anderen Wegen der Orientierung suchen. Das ist gut gemeint, aber auch problematisch. Denn es fehlt die Tiefe, die ein solcher Magazinbericht nicht bieten kann – tatsächlich handelt es sich bei der Philosophie – bei aller Zugänglichkeit – aber um ein sehr leseintensives Fach. Die Philosophie kennt keine einfache Antwort auf die Frage nach einem gelungenen Leben und will diese auch gar nicht (mehr) geben. Aber das Heft versucht das zu vermitteln: In der Klassiker-Rubrik “Die Philosophen” wird auf Buddha und das Nirvana geschielt. Also auf das publikumswirksamere, aber an sich fachfremde Terrain der Religion.

Die Titelgeschichte im “Dossier” “Wie viel Tier steckt in mir?” ist vor allem der abgebildeten Nahaufnahmen wegen sehenswert, aber auch alles andere als anspruchsvoll; eben das, was man dem gutsituiertem Leser zumuten kann, ohne zu irritieren. Für den Kenner interessant sind da schon eher die Literaturtipps und die Werkstattgespräche mit den noch lebenden “Philosophen”. Wie etwa Cornel West, einem afroamerikanischen Mann der Zunft, der sich als Philosoph auch in die Tradition von Jazz und Blues stellt und im Interview mit seinem Präsidenten Barack Obama nicht eben unkritisch umgeht.

Warum soll ich das lesen?
“Ich weiß, dass ich nichts weiß”, sagt Sokrates. Lena Meyer-Landrut ist noch nicht so weit, das weißt du spätestens auf der letzten Seite.

Risiken und Nebenwirkungen
Vielleicht reißt du deinen Richard-David-Precht-Starschnitt in Lebensgröße doch von der Wand. Oder fragst noch mal nach, “wie viele” denn bei dessen Selbsterkenntnis gemeint waren. Es ist alles nicht so einfach.

> Philosophie Magazin online

Manuel Niemann

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