MUH

Die einen wohnen in der Provinz und kommen mit Glück ins Berghain, um dort eine andere Welt kennen zu lernen. Wir anderen wohnen in Deutschland, und dürfen zur MUH greifen.

Heute verlieren nationale Grenzen und Befindlichkeiten an Bedeutung. Das merken wir jeden Tag, in den Nachrichten, im sozialen Netzwerk und auf YouTube. Gleichzeitig vollzieht sich eine zweite Entwicklung, etwas leiser vielleicht, aber mit voller Macht: Zurück ins Lokale und Regionale. Wenn die alten Einteilungen in Nationalitäten ihre Trennschärfe verlieren, definieren wir uns eben über die Nachbarschaft, die Stadt, die Region. Darum sprießen neue Stadtmagazine aus dem Boden, und darum hat Bayern seit etwas über einem Jahr auch ein eigenes, neues Magazin. Es heißt MUH.

Bayern geht anders

Schwer zu verstehen, dass der Freistaat so anders ist, aber es ist nun mal Fakt. Der Griff zur aktuellen Ausgabe offenbart “Bayerische Aspekte” – so der Untertitel des Hefts – die einem mehr oder weniger fremd vorkommen können, befremdlich und faszinierend wirken. Da ist etwa die Begeisterung für den Satiriker und Kabarettisten Gerhard Polt, der an gebührender Stelle gründlich gefeiert wird. Im gleichen Heft ein Interview mit seinem Kollegen Dieter Hildebrandt, der gar kein Bayer ist, und Features zu Musikern, die sich dafür aber umso mehr als blau-weiß definieren: “Kofelgschroa” und “Rembremerdeng”. Noch nie von gehört? Nicht so schlimm, dafür gibt es ja die MUH. Und für interessante Betrachtungen über den Wahnwitz deutscher Verkehrspolitik, den Wahnwitz des deutschen Rechtsextremismus sowieso und den Wahnwitz deutscher (meint: bayrisch-österreichischer) Volksmusik. Vieles ist versammelt. Doch da ist mehr: es gibt Witzeseiten für die Kleinen und ein Kreuzworträtsel, eine Tierkolumne und, na klar, auch einen täglichen Abriss über Bier. Wäre ja sonst auch irgendwie fad.

So ist das Heft jedenfalls Ausdruck eines neuen Europas – eben weil es sich auf die Region bezieht und nicht das Land. MUH ist wohl so einiges: Magazin für die Kleinen, für die Hausfrauen, die politisch Interessierten und die Musikalischen? Wenn dem so ist: preisgekrönt ist es jedenfalls schon (und ist im Übrigen 2012 für die LEADAwards nominiert, über die wir die nächste Woche berichten werden). Und hält zudem einen ganz eigenen Ton, was noch mal zeigt, wie anders die da unten ticken: Da wird anders gelacht und anders formuliert, aber immer mit rechtem Stolz und Selbstverständnis. Getreu dem Cover können wir nur empfehlen: weiterackern! Die Menschen, die Region; Sie werden es Euch danken.

Warum soll ich das lesen?
Sich selbst erkennen, heißt die Fremde kennen. Wer MUH in die Hand nimmt, merkt schnell: in Sachen Bayern gibt’s noch viel zu lernen. Dieses ganz eigene, andersartige Land im Süden, fast schon Italien. Begib dich auf den Trip.

Risiken und Nebenwirkungen
Du bist Besucher auf dem Oktoberfest, und kennst Dich nach eingehender Lektüre dieses Magazins schon viel zu gut aus. Du bist kein dummer Tourist mehr, und das erzeugt Irritationen. Nicht zuletzt bei Dir selbst.

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Sven Job