Vor Kurzem auf der Terrasse einer großen Kaffeeröster-Filiale: Hinter dem Verkaufstresen, für den Kunden normalerweise nicht sichtbar, ist ein Spiegel angebracht, an dem die Verkäuferinnen – es sind nur Frauen – andauernd vorbeihecheln müssen. Auf dem Spiegel steht: “So sieht der Kunde Sie.” mit einem Smilie darunter, der vermittelt: “Und so sollte er Sie sehen.” Die “Think Positive”-Kultur ist eben überall und dass es nur einen Like-Button gibt, aber keinen Dislike-Button, bringt diese Kultur auf den Punkt. Was wir nicht bemerken, das gibt es auch nicht. Ein Affe, der sich Augen, Mund und Ohren gleichzeitig zuhält.
Das Schweizer Dislike-Magazin setzt genau hier an. “Wir kommen um uns zu beschweren” ist das Motto und dementsprechend der Untertitel: “Magazin für Unmutsbekundung”. Stilistisch ist das Heft vielfältig: Essays und Reportagen wechseln sich mit Streitschriften und Kurzgeschichten ab. Was von außen zunächst so schlicht wie eine akademische Vierteljahresschrift daherkommt, bietet drinnen mit vielen Fotos und Zeichnungen genug Eyecandy, um dem “Magazin” im Titel gerecht zu werden.
Die behandelten Themen nerven genau so, wie es ja beabsichtigt ist: ein Besuch im künstlichen Tropenpark vor Berlin, eine Skizze der typischen Onlinekommentare bei Tageszeitungen und auch der Kapitalismus, dieser “alte Schlawiner” (PeterLicht). Schlechte Kunst und die seltsamsten Kosenamen für Geschlechtsteile: Der Spott ist da, aber er ist nett gemeint. Man hat ja auch immer Anteil an dem, was man nicht mag. Oder um es noch einmal mit Tocotronic zu sagen: “Und alles was wir hassen / seit dem ersten Tag / wird uns niemals verlassen / weil man es eigentlich ja mag.”
So sehr man die Themen nicht leiden kann, so sehr mag man die Artikel. Man kann es sich im “Grand Hotel Abgrund” eben auch sehr gemütlich machen. Ein intelligentes und unterhaltsames Magazin. Me like the Dislike!
Warum soll ich das lesen?
Das Motto “Think Positive” nervt und ist Selbstmanipulation. Also besser ein so gutes “Read Negative” wie hier.
Risiken und Nebenwirkungen
Da ist wieder der alte Widerspruch: Du bewertest einen Artikel mit “Gefällt mir” und meinst damit eigentlich das Gegenteil.
Ulrich Mathias Gerr