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(c) Oliver Wurm / Medienbüro

In den dunklen Wintermonaten ist es noch schwer vorstellbar, aber im Sommer 2016 ist es wieder soweit: Die deutschen Fußball- und Massenevent-Fans können endlich wieder mit schwarz-rot-geiler Gesichtsfarbe und Blumenkette auf die Fanmeilen pilgern. Wenn die 90 Minuten durchgestanden sind, geht es mit Biermischgetränken bewaffnet in GTI oder S-Bahn zum nächstbesten Brunnen, um enthemmt und voll unbeschwertem Patriotismus das Unentschieden “unserer Jungs” im Auftaktmatch der EM zu feiern.

Für alle, die sich auch mal ein wenig in die Hintergründe des alle zwei Jahre wiederkehrenden Partyanlasses einlesen möchten, gibt es die Serie 54749014. In den bisher erschienenen vier Ausgaben dreht sich alles um die deutsche Fußballnationalmannschaft und ihre Großtaten bei Großturnieren. In Heft vier unternehmen Macher und Leser eine Reise in die Zeit von Ballonseide und Vokuhila. Kenner wissen: Thema ist der Weltmeistertitel 1990.

Kaiser Franz, völlig unbefleckt von gekauften Sommermärchen und im Vollbesitz seines Erinnerungsvermögens, trumpfte mit seinen (westdeutschen) Recken auf und holte den Pokal aus Bella Italia über den Brenner. Und was waren das für Typen, die damals im Land von Dolce Vita und starker Lira die Kohlen aus dem Feuer holten: Loddar und Andy, Rudi und Bodo, Litti und Auge.

Nicht nur die Texte, auch das Layout lässt den Leser an die seligen 1990er denken. An den Kiosken des kurz vor der Vereinigung stehenden Deutschlands wäre das Heft wohl nicht unangenehm aufgefallen. Ob das nun Absicht ist oder nicht, der Trick funktioniert: Kinder jeden Alters dürften sich sofort an die Hefte zum Aufkleben der Sammelbilder in Duplo und Hanuta erinnert fühlen.

Im Heft wird den Protagonisten der Geschichte maximaler Raum gegeben. Vor allem ihm, dem damals unumstritten Besten: Lothar Matthäus. Das Interview mit dem anno ’90 noch in erster Ehe verheirateten Weltmann aus Herzogenaurach zieht sich über 48 (!) Seiten und damit fast durch das gesamte Heft. Durchbrochen von bekannten und unbekannten Fotos der Action auf und neben dem Platz, Statements seiner Teamkollegen sowie Daten und Fakten zu den Spielen.

Schön ist, dass im Heft auch Platz für die Nebenschauplätze ist. Zum Beispiel für Reiseberichte von “Schlachtenbummlern”, Erinnerungen an Besuche im Teamhotel von Udo Jürgens, Gott hab ihn selig, oder eine “musik-politische” Zustandsbeschreibung Deutschlands 1990.

Warum soll ich das lesen?
“Das sind Gefühle, wo man schwer beschreiben kann,” sagte Klinsi einst. 54749014 macht es trotzdem und macht es mit Vergnügen.

Risiken und Nebenwirkungen
Der Ohrwurm zur WM ’90 war “Un Estate Italiana” von Gianna Nanini. Der geht nach dem Blättern im Heft nur schwer aus dem Kopf. Und am Ende hat man doch tatsächlich Bock auf ein sommerliches Fußballturnier – Proletenkarneval hin oder her.

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Christian Vey