“Bitte nicht erwachsen sein!” fordert The Germans in der aktuellen Ausgabe. Könnte so auch in der NEON stehen. Aber das Heft hat erst mal eine Chance verdient.
Denn über Alemannia gibt es genug zu schreiben, seine dunklen Ecken und hellgefluteten Sportarenen. Seine Currybuden und Autobahnen, seine Nazi-Hools und seine Kanzlerin, seine Graffiti und blitzblanken Erholungsflächen. Und Berlin, immer wieder Berlin, denn geschätzte 80 % aller freiberuflichen Journalisten wohnen dort.
Was fällt auf? Das Heft wirkt schmal, ist aber fast 100 Seiten dick. Das liegt an dem dünnen Papier, auf dem es gedruckt ist. Damit erinnert The Germans frappierend an Supplements wie das ZEITmagazin oder NZZ Folio aus der Schweiz. Warum auch nicht; Bureau Mirko Borsche haben auch schon für die ZEIT gearbeitet und sind nun hier für das Layout verantwortlich.
Wenn neue Magazine heute Stadtlust, Meins oder himmelblau heißen, macht ein Titel wie Titel The Germans gleich doppelt Spaß. Noch besser wäre Se Germans gewesen. Hat sich die Berliner Redaktion dann aber nicht getraut.
Was hat sich die Redaktion denn getraut? Das Heft richtet sich an die 18- bis 35-Jährigen, die vielleicht etwas mehr erwarten als – zurück zum Anfang – von der NEON. Also etwa Aufmacher, die mehr versprechen als: “Wie viel Beziehung tut uns gut?” oder “Wie wichtig ist mir Sex?” – in verschwommener Indie-Optik und irgendwie alternativ. The Germans merkt man die Ambitionen an, mehr zu sein. Obwohl es vieles genauso macht wie das Heft von Gruner und Jahr. Ein Plädoyer gegen ein perfektes und durchgeplantes Leben. Ein bisschen Kunst, und noch etwas mehr Lebenshilfe (“Wie treffe ich eine richtige Entscheidung?”). Dafür haben die Macher das Heft in die Kategorien “Meinung”, “Zeitgeist” und “Hintergrund” eingeteilt. Dahinter offenbart sich ein wichtiger Punkt, denn der souveräne Umgang mit dem deutschem Selbstbild ist der Claim, den The Germans in die Welt tragen möchte. Mit deutschen und internationalen Reportagen, selbstreflektierenden Essays und Betrachtungen der bundesdeutschen Befindlichkeiten ist es einen Versuch wert. Denken wir an TEMPO, das jetzt Magazin oder die DUMMY, stellen wir fest – die waren alle sehr gut. Und doch ist es auch noch einen zehnten Versuch wert. Jetzt sind die Deutschen am Zug.
Warum soll ich das lesen?
Schon allein der Schriftsatz lässt dich nostalgisch werden. Die Neunziger waren eine schöne Zeit.
Risiken und Nebenwirkungen
Reportagen wie die über das moderne Russland holen dich schnell in die brutale Gegenwart zurück.