Der Wedding

Es ist ja jetzt schon häufiger vorgekommen, dass wir ein Heft besprechen, dessen Existenz wir Berlin zu verdanken haben. Dafür gibt es viele Gründe: Die deutsche Hauptstadt ist die Kreativen-Metropole des Landes und groß genug, den Boden für eine vielfältige und vibrante Magazinmacher-Szene zu bereiten. Vor allen Dingen ist Berlin billig: Sich mit diversen Projekten über Wasser zu halten ist Lebensentwurf. “Arm, aber sexy” lässt sich als Glamour verkaufen; am Ende des Tages springt dabei auch so ein Heft wie Der Wedding  heraus. Und das Schönste daran: Der Wedding bietet Substanz. Als “Magazin für Alltagskultur” ist es ein Heft voll kluger Reportagen, verschwenderischer Fotostrecken und einer schlicht bildhübschen Aufmachung. Hierdurch liegt der Vergleich mit DUMMY (die woher kommt?) nahe – mit dem Unterschied, dass Der Wedding nur einmal pro Jahr erscheint, und nicht alle drei Monate.


Was die beiden Magazine verbindet, ist die Bearbeitung eines Themas. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem Oberbegriff “Westen”. Ein schönes Stichwort, für ein Heft, das im namensgebenden Bezirk seinen Anfang nimmt, um in Fotoessays und Reportagen, schnell den Blick weiter zu fassen: auf die Menschen und ihre Schicksale, auf das Berlin von gestern und heute. Schließlich erzählt Der Wedding nebenbei auch die Geschichte Deutschlands. Das macht es so wertvoll, weit über Berlin hinaus.


Einziger Querschläger ist die Doppelseite, in der sich sechs Lokalheroen des Poetry Slams die Zukunft ausmalen. Diese Texte bilden die Ausnahme in einem Heft, das ansonsten sehr lesenswert den Berliner Kiezglamour neben die unprätentiöse Reportage stellt. Wenn sich das kleine Menschenschicksal und die große Bürgerschnauze die Klinke in die Hand geben, ist Erkenntnisgewinn garantiert. Berlin sei Dank.

Warum soll ich das lesen?
Du lernst, wie Shoppingcenter aufgebaut sind, wie das im Osten mit Karl May war, und dass es in Berlin noch einen Schifferpfarrer gibt.

Risiken und Nebenwirkungen
Damit beeindruckst du in Berlin niemanden. Niemanden!

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Sven Job