Wo das Spielfeld ein besserer Kartoffelacker ist, die Bratwurst Einsfuffzich kostet und der Fanblock aus sechs Pensionären samt Hund oder Regenschirm besteht: Da ist die Fußballwelt noch in Ordnung. Ganz so blauäugig sind die Macher von Zeitspiel dann doch nicht. Wissen sie doch, dass auch unterhalb der im Fernsehen dauerpräsenten Profiligen der Fußball nicht besser ist. Trotzdem versteigen sie sich zur Behauptung er sei zumindest ehrlicher.
Den Beweis versucht Zeitspiel auf exakt 90 Seiten zu erbringen. Da geht es um tief gefallene Traditionsvereine, die vom Ruhm längst vergangener Tage träumen und um obskure Dorfclubs, die vom örtlichen Mittelständler zum ambitionierten Projekt hochgejazzt werden. Eben alles, was zwischen Liga 3 und 6 so kreucht und fleucht.
Das Hauptaugenmerk liegt auf dem aktuellen Zustand des Fußballs in den unteren Spielklassen und all seinen Problemen. Das größte ist dabei der Zuschauer- und Geldmangel und der dadurch dauerpräsente Kampf ums Überleben. Dem Thema werden in der ersten Ausgabe das Titelblatt und ganze 28 Seiten gewidmet. Leitartikel, reale Fallbeispiele von Pleiteklubs, die tatsächlich aufgelöst oder (teilweise mehrfach) gerettet wurden, epische Statistiken und Interviews machen in größter Ausführlichkeit greifbar, wie es abseits des Hochglanzprodukts Profifußball aussieht.
Wie der Untertitel “Magazin für Fußball-Zeitgeschichte” verrät, hat das Magazin auch einen Hang zum Blick zurück. Vereinshistorien werden aufgerollt,es wird in den Erinnerungen an legendäre Spiele und – noch lieber – Spielorte geschwelgt. Zwar wollen die Heftmacher laut eigener Aussage nichts verklären, ein gewisser Hang zur Sepia-Seligkeit ist aber nicht wegzudiskutieren. Als die Kicker ausschließlich schwarze Ledertöppen trugen, Karl-Heinz oder Rudolf hießen und ihr Sport nur in Stadion, Radio und bestenfalls Sportschau stattfand, war der Fußball eben doch noch ehrlicher.
Die Texte sind sprachlich nah am Objekt, das sie behandeln. Hier gibt es keine Schönspielerei, kein Tiki-Taka. Trotzdem ist sofort spürbar, dass sehr viel Liebe (besonders zum Detail) im Heft steckt. Zeitspiel ist von Freaks für Freaks gemacht.
Warum soll ich das lesen?
Dein Verein macht gerade eine schwache Phase durch? Das hier ist Dein Lesestoff für die Anreise per Regionalexpress zu Auswärtsspielen bei Clubs mit seltsamen Bindestrich-Namen.
Risiken und Nebenwirkungen
Du entwickelst ein gesteigertes Interesse daran, wie es gerade so bei Optik Rathenow, Viktoria Aschaffenburg oder Westfalia Rhynern läuft.
Christian Vey