The Prague Revue

PragRevue1“No table. Content inside.” Eine Lesecaféentdeckung. Zufällig gefunden und aufgelesen an einem Ort, der nicht nur neues Material eben zum Lesen gewährt, sondern ihm explizit einen Platz einräumt in der Architektur einer Stadt und – wie in unserem Falle hier – sich mit einem englischsprachigen Sortiment explizit ein weitläufigeres Publikum anspricht. Expats und Backpacker, Hinzugezogene und Durchreisende, werden “an Bord” und auf den Seiten des Blattes begrüßt, deren Interesse dann auch kein kürzer Abgestecktes ist, sondern ein Grenzübergreifendes: “… not be limited by provinciality any more than those of the New York Times or the Paris Revue.”

“You can take those cities.”, raunzt man diesen Metropolen zu. “We will take our Prague.” Da spricht das stolze Herz Böhmens, Bohemia, die schöne Doppeldeutigkeit, die im europäischen Kontext mitschwingt, wenn man von deren Bewohnern spricht. Und dass dies eben keine Selbstverständlichkeit ist. Oder vielmehr war.

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Eingeschlagen in Büttenpapier und fadengebunden von Hand ist The Prague Revue - Samizdat Series auch eine bewusste Hommage an den freien Geist. Die Rede- und Reisefreiheit mag man einschränken können, doch mit dem Denken lässt sich so nicht verfahren. Zwar muss man sich nicht mehr unter eine Ladentheke bücken, um ein Samisdat, eines jener im Selbstverlag hergestellten Blätter zu ergattern, aber mit dieser bewussten Reduzierung auf das Wesentliche üben die Macher keine Kür in Fragen des Stils, sondern erinnern aktiv an den kritisch(er)en Zeitgeist von einst. Einer, der sich eben durch Denkverbote per Dekret von oben nicht festschreiben ließ, lässt oder lassen sollte. Und so gemahnt die Machart nicht nur an vergangene Zeiten, “the secret printed word of generations past”, sondern führt ganz in deren Geist das Wort fort. Weshalb sich The Prague Revue stellenweise liest, wie man es von einem freien Geist erwarten darf: unterhaltsam, kritisch, mitunter abwegig und anregend.

Elf weitere Print-Ausgaben sollen folgen, unabhängig von der Internet-Dependance, die man seit 1995 unterhält und die in derselben Haltung dort nichts Weniger als “very best in modern literature” Prag und dem Rest der Welt bereitstellt.

Warum soll ich das lesen?
“See you on the other side”, selbst wenn die nur auf der andere Seite der Vltava in ein Lesecafé führt: Es lohnt.

Risiken und Nebenwirkungen
Bukowski oder Teil der neuen digitalen Bohème bist du auch hier für 70 Kč noch nicht.

> The Prague Revue online

Manuel Niemann