Vinyl Stories

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Die Nadel legt sich auf die schwarze Scheibe, berührt sie fast zärtlich. Ein kurzes und leises Knistern. Schließlich setzt die Musik ein. Während eine CD während des Abspielens unsichtbar bleibt und eine Datei niemals in Deiner Hand liegen kann, bleibt es an der Platte, für die Romantik in der Musik zu sorgen. Nur kurz haben wir Vinyl den Rücken zugedreht, uns flüchtige Affären gesucht. Doch jetzt ist die Schallplatte wieder in unser Leben getreten – sie ist unsere Insel im Meer der unendlichen Verfügbarkeiten. “Schallplatten hören in der digitalen Zeit” nennt das die erste Ausgabe von Vinyl Stories etwas sachlicher auf seinem Cover.

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Vinyl Stories ist nach Mint bereits das zweite Magazin auf dem Markt, das sich um die Schallplatte, ja genau, dreht. Vinyl Stories kommt aber weniger geekig daher, im Vordergrund steht der Lifestyle um die Platte, die titelgebenden Stories eben. Auf technischen Schnickschnack wird, anders als in Mint, verzichtet. Hier werden keine Lautsprecher oder Plattenspieler unter die Lupe genommen, und auch von Album Reviews sieht Vinyl Stories ab. Stattdessen gibt es Fotos halbnackter Frauen in Schwarz-Weiß und einen Bericht über Urban Outfitters, in dem Schallplatten mittlerweile zum abholbaren Lifestyle-Paket gehören. Andere Themen hingegen, wie die Reportage über den digitalen Plattenmarkt Discogs, finden in beiden Magazinen ihren Platz.

Chefredakteur Michael Hopp konnte für die erste Ausgabe einige prominente Namen gewinnen. Tocotronic-Gitarrist Rick McPhail schaut sich die Plattensammlung von Scooter-Frontmann H.P. Baxxter an, Gereon Klug hat die unterschiedlichsten Fragen zum Thema Vinyl und Nilz Bokelberg schreibt über die Bedeutung der Schallplatte im Film. Das alles ist fabelhaft bebildert und wunderbar zu lesen. Zur Übersicht dient die Einteilung des Heftes in “Music”, “People”, “Ecosystem” und “Reflections”.

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Schön, dass es mit Vinyl Stories knapp ein Jahr nach Veröffentlichung von Mint bereits ein zweites Magazin zum Thema gibt. Man legt ja auch nicht ständig die gleiche Platte auf.

Warum soll ich das lesen?
Wer kauft bei Urban Outfitters eigentlich seine Platten? Und vor allem: welche? Vinyl Stories verrät es Dir.

Risiken und Nebenwirkungen
Nach Stadtvierteln könnte bald auch Vinyl der Gentrifizierung zum Opfer fallen.

> Vinyl Stories online

Florian Tomaszewski

Little Atoms

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Was braucht ein gutes Magazin? Über diese Frage haben sich schon große Philosophen den Kopf zerbrochen, dabei ist die Antwort doch manchmal ganz einfach, wie Little Atoms zeigt. Sechs Interviews und acht Essays bilden den Inhalt der zweiten Ausgabe, die wunschlos glücklich macht.

Hervorgegangen aus der gleichnamigen Londoner Radiosendung, kommt das handliche Mag auf den ersten Blick recht unscheinbar daher, offenbart dem Leser jedoch schnell seine Stärken. Hervorragende Texte zu den unterschiedlichsten Themen – ein neugieriger und nachdenklicher Blick auf unsere Welt. Das unaufgeregte, konsequente Design tut dem Ganzen dabei sehr gut, ebenso die auf den Punkt gebrachten Artikel.

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Little Atoms ist ein hochwertiges Mixtape in Print und dein Anker in einer komplexen Welt.

Warum soll ich das lesen?
Um Little Atoms durchzulesen, musst Du keinen Urlaub nehmen.

Risiken und Nebenwirkungen
Bis zur zweiten Ausgabe hat es fast ein Jahr gedauert. Falls Du jetzt Lust auf mehr bekommen hast, brauchst Du möglicherweise etwas Geduld.

> Little Atoms online

Florian Tomaszewski

Was liest du, Sara Lisa Schäubli?

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Ein “Lesezimmer und Treffpunkt für alle, denen die üblichen Kioskauslagen zum Hals raushängen” will Sara Lisa Schäubli mit dem ABC Magazin-Laden in Hamburg möglich machen. Noch den ganzen November über präsentiert Schäubli dort eine feine Magazinauswahl in entspannter Atmosphäre und stellt dabei vor allem unabhängige Publikationen ins Rampenlicht. Klar, dass die übers Crowfunding finanzierte Idee schnell unser Herz gewinnen konnte. Und wer sich durch geschätzt hunderte von Magazinen geblättert hat, der muss doch wissen, was sich lohnt.

Was liest du, Sara Lisa Schäubli?

Schluck

Eigentlich bin ich ja eher Bier- als Weintrinkerin, aber Schluck, das anstößige Weinmagazin hat es mir voll angetan. Es verabschiedet sich mit einem großen Paukenschlag vom spießigen, staubigen Image, welches ich von Wein hatte. Außerdem finde ich die Aussage der aktuellen Ausgabe genial: Wenn die Politik es nicht schafft, Europa zu retten, dann muss es halt das Kulturgut Wein schaffen.

Paradiso

Il Paradiso ist das erste Reisemagazin seit langer Zeit, das mir Hummeln im Hintern macht. Ich habe das Gefühl, dass die Macher in meinen Kopf geguckt und dann alle Themen, welche mich interessieren in ein Heft gepackt haben. Ich bin nostalgisch geworden beim Artikel über das Kinderbuch “Ferien auf Saltkrokan”, habe gelacht bei den 33 Fragen an Schweden und meinen ganzen Lebensstil hinterfragt beim Artikel “Im Beet mit einer Rebellin”, dem Porträt einer jungen Frau, die ihr Glück im Schrebergarten findet.

Transform

Ich habe eine Schwäche für Magazine, die den gesellschaftlichen Wandel zum Thema haben. transform tut das auf eine zugängliche Art mit tollen um-die-Ecke-gedachten Artikeln und nicht zu wenig Augenzwinkern. Witziges Extra: Oben an jedem Artikel steht die Lesezeit, die der Leser fürs “Überfliegen” oder “Genussvoll lesen” benötigt.

Delayed

Dieses Magazin arbeitet die News der letzten drei Monate auf, stellt sie in einen Kontext und beleuchtet sie neu. Da ich kein Fan von oberflächlicher Berichterstattung bin, ist Delayed Gratification das Magazin für mich, um trotzdem auf dem Laufenden zu bleiben, was das Weltgeschehen angeht. Außerdem bin ich ein großer Fan von den sorgfältigen Infografiken.

Reportagen

Mein absolutes Lieblingsmagazin. Ich bin Abonnentin der ersten Stunde und habe alle 31 verschiedenfarbigen Ausgaben im Bücherregal stehen. Reportagen kommt komplett ohne Fotos aus, besticht dafür mit sparsam platzierten Illustrationen und natürlich vor allem mit großartigen Reportagen. Als im November die Reportagen-Autorin Daniela Schröder im ABC Magazin-Laden zu Besuch war und der Radiojournalist Dirk Schneider Teile von zwei ihrer Reportagen las – da ging ein Traum in Erfüllung.

Einen Vorab-Besuch könnt Ihr Sara und ihrem Laden auf ihrer FB-Page abstatten. Wir danken dir, Sara!

Mint

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Die Welt ist eine Scheibe. Zumindest in den Augen der Vinyl-Enthusiasten. Die werden immer mehr, denn Vinyl boomt. Die Verkaufszahlen erlebten in den letzten Jahren einen signifikanten Anstieg, wie selbstverständlich erscheint jede Neuveröffentlichung auch auf Schallplatte und der Backkatalog vieler Musiker wird als Vinyl-Reissue erneut in die Läden gebracht. Mittlerweile stehen die Sammler am jährlich stattfindenden Record Store Day stundenlang Schlange, um eine der speziell für diesen Tag veröffentlichten und streng limitierten Platten kaufen zu können. Der Printmarkt reagiert natürlich auf diesen Boom und so gibt es seit Ende letzten Jahres Mint – Das Magazin für Vinylkultur aus dem Visions-Verlag.

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Blättert man das Magazin einmal durch, fällt schnell auf, dass es thematisch nie ganz eindeutig ist. Ist es nun ein Musikmagazin oder ein Technikmagazin? Beide Aspekte werden inhaltlich bedient und je nach Interesse überblättert oder interessiert gelesen. Die Stärke von Mint liegt weniger in den Tests von Lautsprechern oder Kopfhörern (dafür gibt es genug Hi-Fi-Magazine) sondern in den Reportagen, die man in klassischen Musikmagazinen kaum noch findet. Dies kann ein Blick auf das Plattensammeln in der DDR sein, ein Besuch beim Online-Portal Discogs oder eine kritische Auseinandersetzung mit dem bereits erwähnten Record Store Day. Mint ist frei von der Veröffentlichungspolitik der Plattenfirmen und kann daher auch abseitigere Themen bearbeiten. Aus diesem Grund halte ich übrigens die Rezensionen in dem Heft für überflüssig – die gibt’s schließlich auch in anderen Veröffentlichungen und bieten wenig Mehrwert (außer man will unbedingt wissen, ob zum Beispiel die jeweilige Innenhülle bedruckt ist).

Der Vinyl-Liebhaber ist immer auch Jäger und Sammler. Da ist es eine schöne Idee, mit jeder Ausgabe die Vinyl-Szene einer Stadt zu portraitieren. Zwischendurch blitzt natürlich immer wieder ein “Früher war alles besser” auf, wie man es ebenso im Plattenladen seines Vertrauens mit auf den Weg bekommt. Aber gehen wir nicht genau deshalb immer wieder hin? Mint ist schön nerdig, vielleicht für den Gelegenheits-Musikhörer zu nerdig. Gut möglich, dass es den Machern aber genau darum geht. Diejenigen abholen, die ihre Wochenenden auf Flohmärkten verbringen, um sich durch verstaubte Plattenkisten zu wühlen und für die das Knistern und Knacken einer Schallplatte durch nichts zu ersetzen ist. Sollen die anderen doch weiterhin schlechte Musik über minderwertige Lautsprecher hören.

Warum soll ich das lesen?
Mint ist wie der coole Onkel, der Dir eines Tages seine Plattensammlung auf dem Dachboden zeigt und dabei in einen Monolog über Krautrock verfällt.

Risiken und Nebenwirkung
Deine Vinylsammlung wächst. Der nächste Umzug kommt bestimmt. Danke, Mint!

> Mint online

Florian Tomaszewski

 

 

ZEITmagazin MANN

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Vielleicht hätten wir einer Frau das ZEITmagazin MANN geben sollen. Ein weiblicher Blick darauf, wie Männer sich sehen. Oder sehen wollen. Oder sehen sollen. Das hätte sie bestimmt gut hinbekommen. Entlarvend, nüchtern, vielleicht auch spöttisch. Auf jeden Fall wäre das interessant geworden. Haben wir aber nicht. Besonnen kann ein Mann natürlich kein Heft über andere Männer anschauen. Und sagt das nicht bereits alles über uns aus?

Ein neues Männermagazin also. Aus dem Zeitverlag. Schon deshalb wird natürlich ein Typ Mann angesprochen, der gewöhnlich nie ein Männermagazin in die Hand nehmen würde. “Ich bin ein anderer”, das Zitat des Schauspielers Christoph Waltz prangt vielleicht auch deshalb gut sichtbar auf dem Cover. Der Mann, die hier zugreift, soll ja genau das denken. Ich bin anders, das Magazin ist anders. Kann ich nehmen. Aber ist ZEITmagazin MANN tatsächlich so abweichend zur Konkurrenz? Eine echte Alternative?

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Entscheidungen sind das Leitmotiv der ersten Ausgabe (einen früheren Testlauf habe wir auch besprochen). Entscheidungen, die Männer früher oder später im Leben treffen. Das kann der Fußballer Marcel Jansen sein, der mit Ende 20 dem Profigeschäft den Rücken kehrt. Oder Bodo Bruemmer, der im Alter von 96 beschließt, Winzer zu werden. Wie vom ZEITmagazin gewohnt, sind das tolle und spannende Geschichten.

Generell erinnert der gesamte Look natürlich an das wöchentliche Magazin. Jedoch kommt auch das ZEITmagazin MANN nicht ohne die üblichen Beigaben aus: Mode, Uhren, Autos, schwarz-weiße Fotos grübelnder Männer. Nur Moritz von Uslar gewährt einen kurzen Moment des Selbstzweifels, wenn er über tanzende Männer sinniert. Ansonsten dominiert der erfolgreiche Anpacker-Typ mit Hang zur Melancholie und damit leider ein gar nicht so “anderes” Männerbild.

Warum soll ich das lesen?
Um die üblichen Magazine, die Dich als Mann ansprechen wollen, machst Du einen großen (tänzelnden) Bogen.

Risiken und Nebenwirkung
Du hast das Gefühl, Du müsstest schon im Anzug in einer Bar in Singapur sitzen, um dem ZEITmagazin MANN gerecht zu werden. Und die Bar müsste Dir gehören.

Florian Tomaszewski

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